Auch im Alter: Volle Kraft voraus!
Er trank mit Salvador Dalí, durchquerte die Sahara mit einem VW-Bus, baute ein Drachenboot. Der Tausendsassa Heinz von Gunten hat viel erlebt und sprüht auch mit 85 vor Energie und Tatendrang.
Von Benel Kallen
Denkt Heinz von Gunten an seine frühe Kindheit, so tauchen die besorgten Gesichter seiner Eltern vor ihm auf.
Sie strampelten sich ab, um den Kindern trotz Lebensmittelrationierung die schlimmsten Entbehrungen zu ersparen. Er wurde am 1. August 1935 als ältestes von fünf Kindern in einem Haus am Bösbach in Steffisburg geboren. Als der Bundesrat die allgemeine Mobilmachung beschloss, war er vier Jahre alt. «Nachts blieben die Strassenlampen dunkel und die Fensterläden wurden mit Karton abgedichtet, damit ja kein Licht nach aussen drang.» Nie vergessen wird von Gunten die Nacht, als sein Vater ihn aus dem Bett holte, um ihm donnernde Bomber im Überflug nach Italien zu zeigen. Sie strahlten im Scheinwerferlicht der Schweizer Flugabwehr.
«Nie vergessen wird von Gunten die Nacht, als sein Vater ihn aus dem Bett holte, um ihm donnernde Bomber im Überflug nach Italien zu zeigen.»
Nach der obligatorischen Schulzeit absolvierte von Gunten die vierjährige Lehre zum Typografen. An der Kunstgewerbeschule Bern vertiefte er seine Kenntnisse im Illustrieren und Freihandzeichnen, danach arbeitete er mehrere Jahre als Grafiker bei Ringier in Zofingen und der Hallwag in Bern.
Das eigene Atelier
Nach der Heirat und der Geburt des ersten Kindes wagte von Gunten 1966 den Schritt in die Selbstständigkeit und eröffnete in Steffisburg sein eigenes Atelier. Er illustrierte Kinder-, Geschichts- und Geografiebücher. Das Zeichnen ist eine Leidenschaft, die ihn ein Leben lang begleiten sollte. Davon zeugen dicke Mappen. Beim Blättern in seinen Zeichnungen kommen Erinnerungen hoch. Etwa an den Güggel, der ihn attackierte, als er dessen Hühner zeichnen wollte. Oder an die Mühle, die drei Monate nachdem er sie skizziert hatte, komplett abbrannte. Übrigens zeichnet von Gunten bis heute regelmässig Wasserräder für einen Firmenkalender. Abgebrannt ist von denen zum Glück keins mehr.
2001 versuchte sich von Guten für einmal nicht nur als Illustrator, sondern auch als Autor. Im Kinderbuch «Ponzo der unheimliche Höhlendrache» erwacht der Drache aus der Beatushöhle und erlebt schauerliche Geschichten. Das Buch weckte das Interesse der BLS. Sie beauftragte von Gunten das Kursschiff MS Stadt Thun zum Drachenboot umzubauen. Dieses Grossprojekt, für das er von der Idee bis zur Realisierung verantwortlich war, machte ihn bekannt und erfreute Gross und Klein während drei Sommern auf dem Thunersee.
Mit der Fotografie hatte von Guten ein zweites berufliches Standbein. Seine Bilder tauchen in vielen Büchern und Ausstellungen auf – weit über die Landesgrenzen hinaus. Der geografisch fernste Ort, an dem er seine Werke zeigen konnte, war New Orleans. Zahlreiche Firmen warben und werben mit Fotografien, die von Gunten geschossen hat. War er früher mit einer legendären Hasselblad unterwegs, bedient er sich inzwischen längst auch digitaler Geräte.
Reisen macht kreativ
Irgendwann entdeckte von Gunten seine Lust auf riskante Reisen in abgelegene Gebiete der Erde. 1971 durchquerte er in einem umgebauten VW-Bus, den er Zebra nannte, in drei Monaten die Sahara. Diese Wüste wurde zu einer seiner Lieblingsdestinationen. Er stattete ihr fünf Mal einen Besuch ab.
Auch reiste er viel durch Europa und lernte die USA kennen; vom Süden bis hoch nach Alaska. Mit 82 Jahren fuhr er allein mit einem VW-Bus (mittlerweile ein neueres Modell) durch die grosse spanische Wüste Bardenas Reales bei Navarra. Das Abenteuer bescherte ihm eine Einladung in Kurt Aeschbachers Fernsehsendung «Durchstarten».
«Die Menschen, Landschaften und Tiere, denen ich auf meinen Reisen begegnet bin, haben mich inspiriert», sagt von Guten. Er fotografierte, malte, schrieb. Immer wieder bekam er die Gelegenheit, diese Kreationen an Diavorträgen und in Schulen zu zeigen. «Mit meinen Gemälden, Zeichnungen und Illustrationen habe ich viel Begeisterung und Freude geweckt», sagt er: «Alle meine Werke sind ein Stück von mir, von meiner Seele.»
«Alle meine Werke sind ein Stück von mir, von meiner Seele.»
Er sieht sich aber nicht als Künstler. «Ich bin vielmehr ein Forscher, der nach Unentdecktem sucht.» Aus den Begegnungen, die von Gunten auf seinen Reisen hatte, ragt eine heraus. Als er in Port-Lligat nahe Cadaqués an der Costa Brava ein Boot malte, schaute ihm ein Mann über die Schulter und lud ihn zu einem Drink in seinen Garten ein. Das Katalanisch seines Gastgebers war für von Gunten unverständlich. «So versuchten wir es mit Französisch und Englisch und hatten Spass dabei.» Erst später merkte er, dass er den Mann, mit dem er geradebrecht hatte, hätte kennen müssen: Es war kein geringerer als Salvador Dalí.
Zwei andere berühmte Künstler traf er an einem Fest an der Aare in Bern. Jean Tinguely und Bernhard Luginbühl waren fasziniert von seinem Arca-Camper und kamen mit ihm ins Gespräch. «Wenn du dieses Monster einmal nicht mehr brauchst, dann sag es mir», sagte Tinguely. «Ich montiere es an eine grosse Wand.» «Und ich zünde es dann an», meinte Luginbühl lachend.
«Ich bin vielmehr ein Forscher, der nach Unentdecktem sucht.»
Als von Gunten wissen wollte, wohin er denn das Auto im Falle eines Falles bringen sollte, nahm Tinguely eine Serviette und schrieb seine Adresse auf: «Tinguely, Neyruz 1740». Dann tupfte er ein paar Tropfen Kaffee neben die Notiz und reichte sie von Gunten, der so in den Besitz eines echten Tinguely kam.
Ohne Musik geht nichts
Auf seinen Reisen hat von Gunten immer ein Instrument dabei. Wobei er sich jeweils zwischen Saxophonen, Flöten, Blues Harp, Chromonika und anderen Instrumenten entscheiden muss. Die Freude an der Musik haben ihm seine Eltern mitgegeben. Sie musizierten selbst gerne und förderten auch ihre Kinder.
«Als ich sieben Jahre alt war, hat mich meine Mutter zum Handharmonikalehrer gebracht und später führte mich mein Vater zum Saxophonunterricht.» Von Gunten wandte eifrig an, was er gelernt hatte. Er spielte in diversen Formationen mit: von der Guggenmusik «Zinökler Gugge» bis hin zum 14-Mann-Orchester. Bis heute spielt er an kleinen Konzerten und privaten Feiern leidenschaftlich gern Handharmonika.
«Für mich ist Musik Lebensphilosophie und Medizin.»
«Ich habe bei unzähligen Musikern immer wieder Neues dazugelernt, neue Freunde gefunden und hatte viel Spass dabei», sagt von Gunten. «Für mich ist Musik Lebensphilosophie und Medizin.» Sie gebe ihm Kraft und vertreibe die Sorgen. Folgerichtig nutzte er die Coronakrise dazu, die B-Klarinette richtig kennenzulernen.
Ein zweiter Jungbrunnen ist für von Gunten der Sport. Er joggt, schwimmt im See und in der Aare, fährt mit dem Mountainbike Berge hoch und jagt mit dem Rennvelo über Strassen. Dazu kommen Bergsteigen, Wandern, Ski- und Schneeschuhtouren, Langlauf und … Deltasegeln. «Das hilft mir, frisch und gesund zu bleiben», sagt er über sein straffes Sportprogramm.
Doch das ist nicht alles. Von Gunten pflegt auch den Kontakt mit seiner Familie, obwohl die Tochter in Basel und der Sohn in Zürich wohnen. Sehr stolz ist er auf seine Enkelin Leann, die als Grafikerin beruflich in seine Fussstapfen getreten ist. Ihre Tochter Vea – von Guntens Urenkelin – bringt ihn immer wieder zum Strahlen. Und last but noch least: Seit seine Frau vor acht Jahren gestorben ist, kümmert er sich auch um Haus und Umschwung: einkaufen, kochen, waschen, bügeln, Bäume schneiden.
Warten auf das Startsignal
Von Gunten ist ob all dieser Aktivitäten noch lange nicht müde. «Es gibt so viele Wunder, die ich noch erforschen möchte», sagt er. In der Natur erlebe er immer wieder Überraschungen, die seine Kreativität anregten. «Gegenstände, die ich am Wegesrand finde, verwandle ich in künstlerische Objekte.» Diese Werke fotografiert er und lässt sie an Ort und Stelle: «Damit die Natur sie weiterverarbeitet.»
«Es gibt so viele Wunder, die ich noch erforschen möchte.»
Und natürlich plant von Gunten neue Reisen. Jetzt muss sich nur noch das Corona-Virus verabschieden. «Ich bin bereit und warte auf das Startsignal.»
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