Das über Jahre aufgebaute soziale Beziehungsnetz wird im Alter immer dünner.
Das über Jahre aufgebaute soziale Beziehungsnetz wird im Alter immer dünner. Credit: Adobe Stock
Isolation

Alleinsein und Einsamkeit sind nicht das Gleiche

Isolation Ältere Menschen fühlen sich nicht einsamer als andere Gruppen der Gesellschaft. Ihr Beziehungsnetz wird allerdings mit dem Alter weniger dicht. Damit können nicht alle gleich gut umgehen.

Von Stephanie Weiss

Nachdem ihr Mann und einige ihr nahestehenden Menschen gestorben waren, hatte Frau Moser kaum mehr Ansprechpartner. Die Lebensfreude der kinderlosen 82-Jährigen trübte sich zusehends. So wie Frau Moser geht es vielen älteren Menschen, einige von ihnen leiden stark unter der Einsamkeit.

Wie mehrere Studien beweisen, sind Frauen und Menschen mit tiefem Einkommen am meisten von Einsamkeit betroffen. Laut dem Zürcher Gesundheitsbericht «Soziale Beziehungen und Gesundheit im Kanton Zürich» machen die Betagten dabei nicht die grösste Gruppe aus.

«Ältere Personen weisen einen vergleichsweise geringen Grad an sozialer Integration auf.»

Wohl zeigte sich bei der Erhebung, dass ältere Personen einen vergleichsweise geringen Grad an sozialer Integration aufweisen. Wurde nach dem subjektiven Gefühl der Einsamkeit gefragt, so zeigt sich ein anderes Bild: Fast die Hälfte der jüngsten Altersgruppe gab an, sich manchmal oder oft einsam zu fühlen, auch Frauen lagen diesbezüglich über dem Schnitt. Bei den Rentnerinnen und Rentnern lag dieser Anteil deutlich tiefer.

Beziehungsnetz wird dünner

Das Beziehungsnetz dünnt sich im Alter immer mehr aus. «Die Gruppe der Gleichaltrigen, mit denen wir das Leben lang die meisten sozialen Kontakte und den grössten Austausch pflegen, wird mit der Zeit immer kleiner», erklärt Bettina Ugolini von der Psychologischen Beratungsstelle LiA (Leben im Alter) am Zentrum für Gerontologie der Universität Zürich. Dass dieses Alleinsein auch tatsächlich als Einsamkeit empfunden wird, muss nicht unbedingt sein. «Es gibt viele Menschen, die sich selbst genug sind und sich selbst beschäftigen können.»

«Es gibt viele Menschen, die sich selbst genug sind und sich selbst beschäftigen können.»

Dabei spielen Persönlichkeitsfaktoren eine wichtige Rolle. So gibt es Einzelgänger und solche, die das Alleinsein nicht aushalten, weil sie ständig die Resonanz eines Gegenübers brauchen. «Die Bedürfnisse sind sehr unterschiedlich und das trägt man ins Alter mit.» Grundsätzlich sei nicht die Anzahl Kontakte, sondern die emotionale Verbundenheit ausschlaggebend. «Wenn ich mit meinen Enkelkindern emotional verbunden bin und die Beziehung verlässlich ist, dann brauche ich nicht ständigen Kontakt. Ist diese Verbundenheit aber brüchig und bin ich als Person unsicherer, dann suche ich den regen Austausch, um mich immer wieder zu versichern, ob wirklich alles in Ordnung ist», bringt es Ugolini auf den Punkt.

«Grundsätzlich sei nicht die Anzahl Kontakte, sondern die emotionale Verbundenheit ausschlaggebend.»

In ihrem Beratungsalltag sei die Einsamkeit schon ein Thema, mehrheitlich aber kombiniert mit Verlustgefühlen und Trauer, weil der Partner gestorben ist. «Dann gibt es aber auch eine Gruppe von Menschen, die nicht explizit mit dieser Thematik kommen, sondern weil sie sich häufig traurig fühlen. Hakt man da etwas nach, so kristallisiert sich dann häufig das Thema Einsamkeit heraus.» Oft führten auch andere Faktoren zu Einsamkeitsgefühlen, etwa wenn sich die Kinder abwenden oder kaum Kontakt zu ihnen besteht. «Da ist dann die Frage, ob die Einsamkeit das Problem ist oder der innerfamiliäre Konflikt.»

Digital durch die Pandemie

Senioren, die sich einsam fühlen, können sich an die Pro Senectute wenden. Annette Stöcker, Mitglied der Geschäftsleitung der Pro Senectute beider Basel stellt fest, dass oft die Wohnsituation nicht ideal ist. «In solchen Fällen raten wir zum Beispiel, in eine Alterssiedlung zu ziehen.» Auch empfiehlt sie, Helfernetze wie Begleit- oder Putzdienste zu buchen und einen Mittagstisch zu besuchen, da dies nebst dem sozialen Kontakt einen Fixpunkt im Alltag bietet. Zudem finden Senioren bei Pro Senectute ein grosses Kursangebot und das für jedes Budget. So gibt es einige kostenlose Angebote, wie etwa das Digital Café oder Bewegungsangebote.

Bei einigen Betagten liegt das Problem darin, dass sie kaum mehr mobil sind und deshalb nicht mehr unter die Leute kommen. «Wir vermieten und verschenken Hilfsmittel mit dem Ziel, die Mobilität zurückzugewinnen und damit auch der Einsamkeit zu entkommen», so Stöcker.

Aufgrund der sozialen Distanzierung in Zeiten von Corona fielen viele dieser Kontaktmöglichkeiten weg. Eine Studie der FHNW stellt fest, dass die subjektive Einschätzung der Einsamkeit bei Senioren durch die räumliche Distanzierung beeinflusst wurde. Dieses Empfinden war zu Beginn der Pandemie am stärksten, flachte mit der Zeit jedoch wieder ab.

«All meine Klienten, die bereits vor dem ersten Lockdown regelmässig zu mir in die Beratung kamen, stellten von einem Tag auf den anderen auf digital um.»

Dass die Pandemie das Einsamkeitsgefühl nicht massgeblich beeinflusste, stellt auch Ugolini fest. Viele ihrer Klienten hätten sich nicht einsamer gefühlt. «Die sagten mir: Ich kann das, ich lese und schreibe viel, höre Hörbücher und mir geht es ganz gut dabei. Aber es gibt tatsächlich Senioren, die sehr darunter litten.» Insgesamt habe sie den Eindruck bekommen, dass Corona bei vielen Betagten zu einem Digitalisierungsschub geführt habe. «All meine Klienten, die bereits vor dem ersten Lockdown regelmässig zu mir in die Beratung kamen, stellten von einem Tag auf den anderen auf digital um.» Dank digitalen Hilfsmitteln konnten viele Senioren während der Pandemie ihre sozialen Kontakte aufrechterhalten. So schafften beispielsweise viele Altersheime der Stadt Zürich Tablets an, mit denen die Bewohner mit den Angehörigen per FaceTime sprechen konnten.

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