An sechs Tagen pro Woche steht Henri Scheibli in der Küche seiner «Waldschenke».
An sechs Tagen pro Woche steht Henri Scheibli in der Küche seiner «Waldschenke». Credit: Andreas Zurbriggen

Ein Stück Provence im Seeland

Aus der kulinarischen Landschaft des Bieler Seelands lässt sich Henri Scheibli nicht mehr wegdenken. Seit 50 Jahren verwöhnt er dort Gäste mit provenzalischer Küche.

Andreas Zurbriggen

Wer gute mediterrane Gerichte essen will, braucht nicht bis nach Saintes-Maries-de-la-Mer zu reisen. Ein Abstecher in die Bellmunder «Waldschenke» in der Nähe von Biel kann ähnlich beglückend sein. Dort kocht Henri Scheibli Speisen, die vom französischen Mittelmeerraum inspiriert sind: Fischsuppe, Goldbrassenfilet nach provenzalischer Art oder das weit über die Regionsgrenzen hinaus berühmte Entrecôte «Chez Nous», dessen Genuss einer Fernreise gleichkommt. «Es muss nach Meer schmecken, nach Trockenwäldern, wie sie im Süden Frankreichs vorkommen», bringt Scheibli das Credo seiner Küche auf den Punkt.

Beim Latein büffeln als 19-jähriger Gymnasiast merkte Henri Scheibli, dass er lieber Leuten mit Kochen eine Freude bereiten möchte, anstatt weiterhin das lateinische Versmass der Dichtung Horaz’ und Catulls zu studieren.

«Es muss nach Meer schmecken, nach Trockenwäldern, wie sie im Süden Frankreichs vorkommen»

Nach der Matura schrieb er sich daher in der renommierten Hotelfachschule Lausanne ein, wo er das Handwerk der Gastfreundschaft von der Pike auf erlernte. Damit fügte er sich nahtlos in die Familientradition ein. Schon sein Vater- und Grossvater waren im Gastgewerbe tätig. Sie brachten das Hotel «Bahnhof», das Albert Scheibli 1923 in Biel erwarb, als Hotel «Touring de la Gare» zu nationalem und internationalem Ansehen.

Beliebter Klassiker

Nun, 60 Jahre später, steht Scheibli noch immer Woche für Woche bis zu 80 Stunden im Einsatz und denkt noch lange nicht ans Aufhören. «Für mich ist Kochen kein Beruf, sondern eine Berufung.» Viele Gäste, die zu ihm nach Bellmund kommen, kennt er schon seit Jahrzehnten. 1986 verkaufte er das Hotel «Touring de la Gare», in dem sich Stars wie der Sänger Ivan Rebroff oder der Schauspieler Ruedi Walter die Klinke in die Hand gaben. Er erwarb stattdessen ein altes Bauernhaus in Bellmund – die «Waldschenke» –, rund sieben Autominuten von Biel entfernt, und baute es zu seinem Gasthof um. «Viele Stammgäste aus Biel blieben mir treu und kamen ab dann zu mir nach Bellmund.»

Rund 70 Prozent der Gäste wählen bei einem Besuch das mit hausgemachter Kräuterbutter verfeinerte Entrecôte «Chez Nous» als Hauptspeise. «Das Rezept dafür hat mein Vater während des Zweiten Weltkriegs entwickelt», weiss Scheibli. Damals kam notfallmässig statt Butter Schweinefett zum Einsatz. Das Rezept hat Scheibli verfeinert und zu einem beliebten Klassiker gemacht, für den Gäste auch schon mal eine längere Anreise in Kauf nehmen.

«Für mich ist Kochen kein Beruf, sondern eine Berufung.»

«Der einzigartige Geschmack der Kräuterbutter rührt daher, dass ich von Grund auf alles selbst zubereite. Fertigprodukte kommen bei mir nicht zum Einsatz», so Scheibli. Die provenzalischen Kräuter trocknet und mahlt er eigenhändig und vermischt sie mit viel Knoblauch und anderen Ingredienzen zu der unverkennbar öligen Butter.

Abstecher nach New York

Nicht nur die Gastgeberrolle steckt Henri Scheibli in den Genen, auch die Passion für die Provence sprang vom Vater direkt auf den Sohn über. «Im Jahre 1947 verbrachten wir zum ersten Mal Familienferien in Südfrankreich. Mit einem Citroën 11 légère reisten wir in die Provence, wohin wir immer wieder zurückkehrten.» Der Duft der Kräuter und die damals in der Schweiz noch unbekannte mediterrane Küche liess die Familie nicht mehr los. Scheiblis Eltern wanderten im Alter sogar nach Südfrankreich aus und seine Schwester lebt heute ganzjährig in der Provence. Zwei bis drei Mal pro Jahr verschlägt es den Koch ins mediterrane Frankreich: «Ich besuche dann den Markt von Cavaillon und kaufe einige Zutaten, die ich für meine Kreationen brauche. So etwa das Gewürzpulver für die sämige Sauce ­Rouille, die ich zur Fischsuppe serviere.»

Das Leben von Henri Scheibli kreiste nicht nur um Biel und die Provence. Nach dem jahresbesten Abschluss an der Hotelfachschule in Lausanne wurde er ins berühmte Waldorf Astoria in New York eingeladen und arbeitete in diesem Luxushotel ein Jahr lang. «Ich spürte, New York ist eine Stadt, die süchtig macht, die einen aber auch alle Wurzeln zur Heimat verlieren lässt», erinnert sich Scheibli. So kehrte er nach einem Jahr nach Europa zurück und absolvierte in Frankreich und Italien verschiedene «Stages». In Treviso kochte er im legendären Restaurant «Le Beccherie» in der Equipe von Aldo Campeol, der als Miterfinder des Tiramisus in die Geschichtsbücher einging.

Die 79 Jahre sieht man Henri Scheibli nicht an. Die Mission, Menschen kulinarisch zu verwöhnen, die er sich als 19-Jähriger gegeben hat, führt er weiterhin an sechs Tagen pro Woche passioniert aus. Seine Partnerin Sasha Jeremic unterstützt ihn dabei tatkräftig. Bis auch die letzten Kunden ihren Heimweg antreten, bleibt Scheibli allabendlich in der Waldschenke und verabschiedet diese beim Hinausgehen persönlich. «Das kostet mich keinen Rappen, wird aber sehr geschätzt.» Henri Scheibli weiss, wie man die Kundschaft mit einem Lächeln auf dem Gesicht nach Hause gehen lässt.

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