Entstand 1976 im Auftrag des Schweizerischen Bankvereins: Die Skulptur «Wandmobil».
Entstand 1976 im Auftrag des Schweizerischen Bankvereins: Die Skulptur «Wandmobil». Credit: Standortförderung Zürioberland / Barbara Faissler
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Der Kabarettist unter den Schweizer Plastikern

In der Villa Flora in Wald ZH zeigt der 85-jährige Künstler Yvan Pestalozzi ausgewählte Werke seines Schaffens. Eine Seniorengruppe wurde von Lozzi persönlich durch die Ausstellung geführt. Ein Einblick in die Kunst des Plastikers.

Maria Liessmann

Es rasselt, klirrt und scheppert. Yvan «Lozzi» Pestalozzi tritt auf einen Fussschalter, und eine seiner fantasievollen Eisenkonstruktionen, der «Schnell-Imbiss», setzt sich in Gang. Mit Getöse schneiden Messer, pieksen Gabeln und schöpfen Löffel emsig in der Luft. «Die aufkommenden Fast-Food-Ketten der 80er-Jahre haben mich zu dieser Plastik inspiriert», erklärt der Künstler der staunenden Seniorengruppe, die eine persönliche Führung bei ihm gebucht hat.

Als Yvan Pestalozzi den Fussschalter des nächsten Exponats betätigt, zerlegt sich der hinter Glas befindliche «Magic Beetle» in 14 Einzelteile und fügt sich ebenso kunstvoll wieder zusammen. Der Vorgang erinnert an die TV-Werbung, in der sich ein Auto wie in einem Transformers-Film in einen Autobot verwandelt und wieder zurück. «Aber hier ist alles mechanisch», freut sich der 85-jährige Künstler. Die ihn umringenden Herren sind sichtlich begeistert.

Während des Rundgangs durch das Lozzi-Museum in Wald ZH erzählt Yvan Pestalozzi viel zu den Hintergründen seines Schaffens: «Die Wünsche und Träume der Menschen haben mich stets inspiriert, ebenso ihre Sorgen und Nöte.» Umgesetzt hat er sie fast immer mit Humor. So wie bei der «Tritt in den Arsch Maschine», die er nun vor den Augen der amüsierten Zuschauern in Bewegung setzt und die wortwörtlich genau dies tut: Ein mechanisches Bein tritt in einen boxsackartigen Hintern unter einer Kuppel, die dem Bundeshaus in Bern verdächtig ähnlich sieht. «Das ist kein Zufall», sagt Lozzi schmunzelnd. Der Künstler erklärt, «die Plastik entstand 1976, als in der Schweiz eine Rezession herrschte und man die Gastarbeiter, damals hauptsächlich Italiener, als sogenannte Manövriermasse des Arbeitsmarkts wieder nach Hause schickte, nachdem sie wertvolle Dienste bei uns geleistet hatten.» Das habe ihn sehr beschäftigt, sagt Pestalozzi.

Werdegang des Künstlers

Yvan Pestalozzi wurde 1937 in Glarus geboren und verbrachte als Kind einer französischen Mutter und eines Deutschschweizer Vaters einen Teil seiner Jugend in Frankreich. Während seiner Lehre als Möbelschreiner in Zürich begann er, erste Plastiken anzufertigen und zeigte 1959 in den Kunststuben Benedetti in Küsnacht ZH bereits seine erste Ausstellung. «Ein Jahr später bestand ich die Aufnahmeprüfung zum Studium der Innenarchitektur an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Leider musste ich dies wegen eines Unfalls im Militär vorzeitig wieder abbrechen», erzählt er.

Durch Fast-Food-Ketten inspiriert schuf Lozzi die Eisenkonstruktion der «Schnell-Imbiss».
Durch Fast-Food-Ketten inspiriert schuf Lozzi die Eisenkonstruktion der «Schnell-Imbiss». Credit: Standortförderung Zürioberland / Barbara Faissler

Nach drei Jahren Rekonvaleszenz bildete sich Lozzi künstlerisch vor allen Dingen autodidaktisch weiter. «Meine zahlreichen Nebenjobs als Rausschmeisser im Bahnhofbuffet, Hilfsgärtner in einem Mädchenpensionat, Taxi­fahrer, Kellner und Stollenarbeiter, die mir meine finanzielle Unabhängigkeit als Künstler erhalten sollten, haben mir viel über die Menschen und ihre Probleme beigebracht, was meine Arbeiten stark inspiriert und beeinflusst hat», sagt der Künstler.

Durchbruch in Stadelhofen

In den 70er Jahren nahm seine künstlerische Laufbahn richtig Fahrt auf. Zwei Kunststipendien von Bund und Kanton Zürich sowie zahlreiche kleinere und grössere Ausstellungen und Aufträge ermöglichten es ihm nun, sich vollständig seiner Kunst zu widmen, ohne einer anderen Arbeit nachgehen zu müssen. Eine Ausstellung im Bahnhof Stadelhofen Zürich verhalf ihm 1976 zum ersten Durchbruch.

Unter dem Leitgedanken «Denken wie ein reifer Mensch – sich freuen können wie ein Kind» hat Yvan Pestalozzi in 60 Jahren künstlerischer Tätigkeit über 1000 Arbeiten erschaffen. Sie reichen von filigranen bis zu mehrere Tonnen schweren Werken und wurden oft im Auftrag von Privaten, Unternehmen oder der öffentlichen Hand angefertigt. Darunter sind berühmte Grossplastiken wie der «Wolkenhüpfer» am Flughafen Zürich, die «Zeitmaschine» bei der UBS oder der «Mückenkreisel» in Dübendorf; zudem über 80 Windspiele und die seriell angefertigte Spielplastik «Lozziwurm» mit über 100 Standorten in ganz Europa.

In den letzten Jahren kreierte Yvan Pestalozzi auch zahlreiche kleinere Objekte und Figuren.
In den letzten Jahren kreierte Yvan Pestalozzi auch zahlreiche kleinere Objekte und Figuren. Credit: Standortförderung Zürioberland / Barbara Faissler

Besonders phänomenal ist das für die TechArt 1991 kreierte Weltmobile, bei dem 50 Tonnen Eisen auf 72 Metern Länge und 19 Metern Höhe zu einem elementaren Kunstwerk verbaut wurden. Sie ist in einem der 33 Kurzfilme auf der Website des Künstlers bis heute zu sehen. Im Museum in Wald ZH werden kleine und mittelgrosse Exponate gezeigt, die einen tiefen Einblick in das Schaffen des Künstlers ermöglichen. «Bestimmte Arbeiten habe ich im Laufe der Zeit entweder zurückbehalten oder mit meiner Frau Christine aus Nachlässen zurückgekauft», erläutert Lozzi das Zustandekommen der Sammlung von über 170 Werken, von denen rund 100 in der Villa Flora ausgestellt sind.

Von Wortspielen inspiriert

Der Schalk ist dem Künstler während der ganzen Führung ins Gesicht geschrieben. Seine Werke begeistern die Besucher. Das Wandmobil, bei dem Kugeln über Trichter, Räder und Bahnen in ewigem Kreislauf zirkulieren. Die Abdankungsmaschine für Heuchler und Erbschleicher, die mittels Tränengas (nur Wasserdampf!) zu glaubwürdigem Weinen bei Beerdigungen verhelfen soll. Ja, und die Streichelmaschine, die wünscht man sich wegen ihrer angenehmen Dienste gar zuhause zu haben. Auch Tiere sind immer wieder Thema der Plastiken. Da jagt die Maus die erschrockene Katze, der «Body Guard» ist eine Rüstung für kleine Hunde, der stumme Schrei aus einem Vogelschädel symbolisiert das Leid der Tiere bei Tierversuchen und in der Massentierhaltung.

«Die Wünsche und Träume der Menschen haben mich stets inspiriert, ebenso ihre Sorgen und Nöte.»

Die ausgestellte Sammlung zeigt den thematischen Facettenreichtum des Künstlers und trotz allen Humors seine tiefgründige Nachdenklichkeit. Auch eine private Leidenschaft von Lozzi spiegelt sich im Museum wider: Das Fliegen. «Mit 40 Jahren habe ich den Flugschein gemacht und mir mit 70 einen einsitzigen Motorsegler gekauft», kommt der 85-Jährige ins Schwärmen. «Damit bin ich in der Schweiz von Flugplatz zu Flugplatz geflogen, meine Campingausrüstung immer dabei», so Lozzi.

Lozzi Museum

Lozzi Museum, Villa Flora, Rütistrasse 15, 8636 Wald ZH

In den letzten Jahren entstanden zahlreiche kleinere Arbeiten: Beim «Fusspilz» steht der Pilz auf einem menschlichen Fuss, bei den «Nägeln mit Köpfen» haben die Nägel Menschenköpfe und bei der «Laufenden Nase» kann die Nase – natürlich – auf Beinen laufen. «Wortspiele waren immer von grosser Bedeutung für mich, weswegen ich auch schon als Kabarettist unter den Schweizer Plastikern bezeichnet wurde», sagt er lächelnd. Ein bedeutender Teil sind dabei auch die Zinn bzw. Bleifiguren wie der «Rappenspalter» oder der «Puttenflug».

Unterschied zu Schrottkunst

Ein Teilnehmer aus der Seniorengruppe fragt nach dem berühmten Zeitgenossen Jean Tinguely. Obwohl der Vergleich für einen Laien nicht so weit hergeholt scheint, möchte Lozzi keinesfalls mit ihm verglichen werden: «Ich bin ja kein Schrottkünstler», sagt er augenzwinkernd. Ob das jetzt auch ein Wortspiel war? Er ergänzt: «Bei meinen Plastiken entstehen die Formen nicht zufällig wie bei Schrottkunst. Das ist ein wesentlicher Unterschied.»

Im letzten Raum des Rundgangs gibt es Modelle und Fotos seiner berühmten Grossplastiken zu sehen. Das Traumschloss der Weltreligionen wartet dabei noch auf seine Ausführung. «Es soll eine Begegnungsstätte für Menschen verschiedener Kulturen, Religionen und politischer Systeme werden, die der Wunsch nach Frieden und Toleranz vereint», sagt Lozzi. «Jedoch kostet die Umsetzung eines solchen Projektes Millionen». Aber auch die Kostprobe davon begeistert die Besucher, und zum Abschied erntet Lozzi jede Menge Applaus.

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