«Versicherte müssen in Eigenverantwortung mögliche Vorsorgelücken erkennen und schliessen können», findet die Ökonomin Yvonne Seiler Zimmermann.
«Versicherte müssen in Eigenverantwortung mögliche Vorsorgelücken erkennen und schliessen können», findet die Ökonomin Yvonne Seiler Zimmermann. Credit: Adobe Stock
Sponsored

Ist Angst vor Altersarmut berechtigt?

Eine Studie der Hochschule Luzern zeigt, dass viele Schweizerinnen und Schweizer kein Vertrauen in AHV und 2. Säule haben und Falschwissen über die Altersvorsorge kursiert. Studienautorin und Dozentin Yvonne Seiler Zimmermann ordnet ein.

Sarah Sartorius

Die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung glaubt nicht daran, dass sie genügend Geld aus der AHV und der 2. Säule erhalten wird, um nach der Pensionierung den gewohnten Lebensstandard aufrechtzuerhalten. 59 Prozent der in der Studie «VorsorgeDIALOG»-Befragten bezweifeln, im Alter genügend Geld zu erhalten.

Frauen trauen dem Vorsorgesystem übrigens noch weniger als Männer. Nur 25 Prozent glauben, nach der Pensionierung genügend Geld aus der Altersvorsorge zu erhalten. Studienautorin Yvonne Seiler Zimmermann sieht den Grund dafür nicht zwingend darin, dass Frauen finanziell per se schlechter gestellt sind: «Frauen sind grundsätzlich risikoaverser.»

Existenzminimum definieren

Ein weiterer wichtiger Punkt, der in der Studie thematisiert wird, ist der demografische Wandel, sprich die höhere Lebenserwartung und die Auswirkungen auf die Altersvorsorge. Was soll gemäss den Befragten getan werden, um das Finanzierungsproblem zu lösen? «Ich war positiv überrascht, dass nur gerade vier Prozent der Befragten keinen Handlungsbedarf sehen» so Seiler Zimmermann. «Die Mehrheit der Befragten ist bereit, höhere Beiträge zu bezahlen und das Rentenalter zu erhöhen. Dagegen wollen die Leute die Langlebigkeit nicht durch höhere Risiken am Kapitalmarkt finanzieren».

Yvonne Seiler Zimmermann wünscht sich eine Sensibilisierung der breiten Öffentlichkeit für Vorsorgethemen.
Yvonne Seiler Zimmermann wünscht sich eine Sensibilisierung der breiten Öffentlichkeit für Vorsorgethemen. Credit: zvg

Wie berechtigt ist die Angst vor der Altersarmut, die viele befragte Personen äussern? «In einem reichen Land wie der Schweiz sollte eigentlich im Alter niemand unter dem Existenzminimum leben.» Wichtig sei es, das Existenzminimum zu definieren, führt Seiler aus. «Es müsste auf politischer Ebene festgelegt werden, was das minimale Einkommen sein muss, damit man nicht als arm gilt.» Die Finanzierung sollte nicht im Rahmen eines kapitaldeckenden Systems, der 2. Säule passieren. «Man kann nicht ohne Umverteilung etwas garantieren, das man am Kapitalmarkt risikolos verdienen muss», so Seiler Zimmermann. «Die Gesellschaft muss bereit dazu sein, diese Kosten gemeinsam zu tragen», findet die Ökonomin. Finanziert werden sollten die Kosten über ein umlagefinanziertes System wie beispielsweise AHV oder Steuern.

Fatale Fehlinformationen

Nebst der Skepsis gegenüber dem Vorsorgesystem zeigt die Studie vor allem auch, wie bescheiden das Wissen der Befragten zum Thema ist. Grundsätzlich sei das Finanzwissen der Bevölkerung besser als das Wissen über die Altersvorsorge, sagt Yvonne Seiler Zimmermann. «Bei Fragen zur persönlichen Altersvorsorge herrschen viele Unklarheiten: Wer ist berechtigt, in die 3a-Säule einzuzahlen? Hat meine Partnerin, mein Partner, in jedem Fall Anrecht auf Hinterlassenenrente? Diese Fragen wurden von vielen falsch beantwortet, was erstaunlich ist.» Denn diese Themen würden die Befragten direkt betreffen.

«Alarmierender als Nichtwissen ist für mich vermeintliches Wissen.»

«Alarmierender als Nichtwissen ist für mich aber vermeintliches Wissen, denn dies kann zu Fehlentscheidungen führen.» Als Beispiel nennt sie etwa, dass bei einem Arbeitsunterbruch nicht mehr in die 3a-Säule einbezahlt werden kann. Denn einzahlungsberechtigt sind nur arbeitstätige Personen.

«Die Frage nach den Gründen für diese Wissenslücken kann ich nur hypothetisch beantworten, aber ich kann mir vorstellen, dass sie auf Fehlinformationen von Verwandten oder Bekannten zurückzuführen sind oder man sich schlicht zu wenig Zeit nimmt, sich aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen», so Seiler Zimmermann.

Das Ende des 08/15-Modells

Die Sensibilisierung der breiten Öffentlichkeit für Altersvorsorgethemen ist in ihren Augen zwingend. «Neben Studien wie dieser sehe ich vor allem die Medien in der Verantwortung und natürlich die Pensionskassen. Aber auch die Arbeitgeber müssten eine aktivere Rolle einnehmen», so die Dozentin. Denn das grundsätzliche Interesse der Bevölkerung ist da: 71 Prozent sind am Thema interessiert, wie aus der Studie hervorgeht. Viele geben sogar an, dass sie bereit wären, für eine Informationsschulung etwas zu bezahlen.

Zur Studie

In der Studie «VorsorgeDIALOG» der Hochschule Luzern (HSLU), die von der Ökonomin und Dozentin Yvonne Seiler Zimmermann ver­fasst wurde, wird der aktuelle Wissensstand der aktiven Versicherten zur Altersvorsorge untersucht. Im Juni 2022 wurde eine repräsentative Befragung bei rund 1200 Personen durchgeführt. Dabei wurde unter anderem in Erkenntnis gebracht, wie gut der Wissenstand der Befragten ist, welche Faktoren diesen beeinflussen und welche Grundhaltung sie zur Altersvorsorge generell haben. Unter dem Strich zeigt die Studie vor allem zwei Dinge: Das Vertrauen in das Vorsorgesystem ist tief und das komplexe Schweizer Vorsorgesystem mit AHV, Pensionskasse und 3. Säule überfordert viele Laiinnen und Laien.

Einen grossen Nachholbedarf im Wissenstransfer zum Thema Altersvorsorge sieht Yvonne Seiler Zimmermann auch im Bildungswesen. «In Schule und Ausbildung könnte das Thema durchaus stärker integriert werden, damit sich auch junge Leute frühzeitig mit der Altersvorsorge auseinandersetzen», sagt sie. Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass sich ältere Menschen eher mit ihrer Altersvorsorge auseinandersetzen. Aber die Studienautorin sieht gerade bei der jüngeren Generation, in der viele nicht mehr in einem 08/15-Arbeitsmodell arbeiten, die Wichtigkeit eines Bewusstseins für die Vorsorge.

Ein Sparkonto für Auszeiten

«Teilzeitarbeit, Sabbaticals und Weiterbildungen sind anhaltende Trends. Zukünftig werden immer weniger von 18 bis 65 ohne Unterbruch und Vollzeit arbeiten», sagt Seiler Zimmermann. «Wichtig ist, dass sich die Arbeitnehmenden bewusst sind, was es für Konsequenzen hat, wenn sie reduziert oder unregelmässig arbeiten.» Sie müssten sich damit auseinandersetzen, wie sie die finanziellen Einbussen auffangen wollen. «Versicherte müssen in Eigenverantwortung mögliche Vorsorgelücken erkennen und schliessen können.»

Wie aber lassen sich diese Lücken füllen? «Ein innovatives Modell, das laut unserer Umfrage viele begrüssen würden, ist das in Deutschland bereits verbreitete Zeitwertkonto. Damit liessen sich Auszeiten ohne Einbussen finanzieren», so Seiler Zimmermann. Das Zeitwertkonto funktioniert wie eine Art Sparkonto, auf dem Mitarbeitende in Absprache mit dem Arbeitgeber Arbeitszeit, etwa Überstunden, nicht bezogene Ferientage oder Teile des Gehalts wie Prämien oder Mehrarbeit als Wertguthaben ansparen können.

Der allgemeinen Skepsis gegenüber des Schweizer Altersvorsorgesystems kann Yvonne Seiler Zimmermann auch etwas Positives abgewinnen: «Vielen fehlt zwar das Vertrauen, aber immerhin ist bei der Bevölkerung angekommen, dass Herausforderungen im Rahmen des Vorsorgesystems bestehen. Das ist ein Anfang.»

Themenspezifische Specials

Mit themenspezifischen Specials, welche als zusätzlicher Zeitungsbund erscheinen, bietet der Tages-Anzeiger ihren Leserinnen und Lesern regelmässig einen attraktiven Mehrwert.