Die Partnerin für alle Nachhaltigkeitsfälle
Seit elf Jahren gibt es die Stiftung éducation 21. Ihr Ziel: Bildung für nachhaltige Entwicklung in die Klassenzimmer zu bringen. Dafür stellt sie Lehrpersonen Dossiers zur Verfügung, unterstützt Intensivwochen oder finanziert mehrjährige Schulprojekte. Das breite Angebot kommt an.
Sarah Forrer
Direkt hinter dem Bahnhof Zürich, an der Allgemeinen Berufsschule (ABZ), tummelt sich ein wilder Mix aus Lernenden: Angehende Bühnentänzerinnen, Köche, Orthopädistinnen und Drogisten gehen dort täglich ein und aus. Ihr Wissensschatz dreht sich um Kunst, Kochen oder Knochen. Dieser soll nun um einen gemeinsamen Nenner erweitert werden. Alle 2400 Jugendlichen werden sich in den nächsten Jahren eingehend mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen. «Wir haben nur diese eine Welt, zu der wir Sorge tragen müssen. Dieses Bewusstsein wollen wir all unseren Lernenden mit auf den Weg geben», sagt Rektorin Meta Studinger, welche das mehrjährige Projekt mitinitiiert hat.
«Wir wollen nicht ein Feuerwerk, das kurz knallt und dann wieder verpufft. Wir wollen etwas Beständiges schaffen, etwas in den Köpfen der Lernenden bewegen.»
In einem ersten Schritt hat sich das Kollegium mit Begrifflichkeiten und Werten auseinandergesetzt: Was bedeutet Nachhaltigkeit überhaupt? Im Allgemeinen und im konkreten Fall für die Schule. Aus den vielen Gedanken kristallisierte sich ein Leitmotiv ab: Aktiv und Bewusst für die Zukunft Handeln – passend zum Kürzel ABZH. «Durch die gemeinsame Auseinandersetzung entwickeln wir ein gemeinsames Verständnis des Themas und verankern die Nachhaltigkeit strukturell», sagt Studinger.
In der Vorplanung hat sich die Projektgruppe auf drei Schwerpunktthemen festgelegt: nachhaltige Ernährung, Klima und Energie und soziale Nachhaltigkeit. Im Moment sind die Fachteams daran, entsprechendes Unterrichtsmaterial zu erstellen und zu digitalisieren. Im November 2024 folgt voraussichtlich die erste von drei Intensivwochen mit Workshops, Veranstaltungen und Referaten. Die gesammelten Erfahrungen und Materialien will die ABZ anderen interessierten Berufsschulen zur Verfügung stellen. «Wir wollen nicht ein Feuerwerk, das kurz knallt und dann wieder verpufft. Wir wollen etwas Beständiges schaffen, etwas in den Köpfen der Lernenden bewegen», so Studinger.
Katalog mit über 1570 Inhalten
Unterstützt wird das Projekt an der Allgemeinen Berufsschule auch von éducation 21. Es ist eines von vielen Projekten, welche die Stiftung finanziert, fachlich begleitet, mitgestaltet oder hierfür Unterrichtsmaterialien zur Verfügung stellt. Nur wenige haben allerdings die Grösse und Dauer der Berufsschule Zürich. «Das ist eher eine Ausnahme. Doch wir wollen solche langfristigen Umdenkprozesse an Schulen vermehrt fördern und Strukturen möglichst langfristig verändern», erklärt Direktorin Klara Sokol das Engagement.
Der Stiftungszweck von éducation 21 ist Bildung für nachhaltige Entwicklung. Entsprechend bereitet sie Leistungen und Produkte für ihre Umsetzung auf: Vernetzungs- und Weiterbildungsanlässe und Unterrichtsmaterial in Form von Themendossiers und didaktisierten Filmen. Der Onlinekatalog, der Lehrpersonen gratis zur Verfügung steht, umfasst mittlerweile über 1570 Inhalte.
Alle Leistungen sind in allen drei Landessprachen altersgerecht aufbereitet und auf die jeweiligen Lehrpläne abgestimmt. Die thematische Breite reicht von Wasser, über Mobilität, Frieden, Gender und Gleichstellung bis hin zu psychischer Gesundheit, Biodiversität oder Konsumverhalten. Das Angebot wird rege genutzt: 2022 wurden 7000 Downloads von didaktisierten Filmen verzeichnet. Die Themendossiers wurden 88 000 Mal runtergeladen. Das Praxismagazin «Ventuno» hat eine Auflage von 70 000 Exemplaren.
Wie ein Turngerät
Die Weichen für éducation 21 wurden bereits 2005 gestellt. Damals bekräftigten die Vereinten Nationen die Wichtigkeit der nachhaltigen Entwicklung für die Bildung (BNE). Sie deklarierten 2005 bis 2014 zur Weltdekade der «Bildung für nachhaltige Entwicklung». Entsprechend war die Schweiz gefragt. Sie legte 2007 einen Massnahmenplan vor, um BNE auf allen Ebenen im Bildungssystem zu verankern. Um Schulen und Lehrpersonen entsprechend zu unterstützen, wurde éducation 21 im Jahr 2013 gegründet.
«BNE ist kein neues Fach. Es ist eine inhaltliche Ausrichtung, welche allen Disziplinen als Orientierung dient und Schulen als Ganzes prägt.»
Doch was bedeutet BNE überhaupt? «Vereinfacht gesagt heisst BNE, Kinder und Jugendliche auf ein selbstständiges und verantwortliches Leben in einer immer komplexer werdenden Welt vorzubereiten», erklärt Klara Sokol. Die Direktorin vergleicht BNE mit dem Turnunterricht: «Es ist eigentlich egal, ob man auf dem Barren läuft, an den Ringen schwingt oder sich am Reck hochzieht: Bei jeder Übung geht es um das Körpergefühl, die Anspannung, das Trainieren der Muskeln. So ist es auch mit dem BNE-Unterricht. Es geht um die Methoden und Kompetenzen, die auf ein neues Thema übertragen werden können», erklärt sie.
Es komme weniger darauf an, ob über Biodiversität, Wasser oder Gender gesprochen werde – sondern viel mehr um die eingebetteten Kompetenzen. Das Unterrichtsmaterial von éducaton 21 ist darauf ausgelegt, dass Lernende ihr Verhalten hinterfragen und reflektieren, in Gruppen gemeinsam Lösungen erarbeiten, Perspektiven wechseln, Thesen überprüfen und Standpunkte kritisch beleuchten. Sokol fasst es so zusammen: «BNE ist kein neues Fach. Es ist eine inhaltliche Ausrichtung, welche allen Disziplinen als Orientierung dient und auch die Schulen als Ganzes prägt.»
Immer im Fluss
Das ist eine der grössten Herausforderungen für die Stiftung. Denn während in den Unterstufen das separierende Fächerdenken mehrheitlich der Vergangenheit angehört und viele Lehrpersonen projektbezogen arbeiten, liegt der Fokus in den Oberstufen nach wie vor auf den akademischen Disziplinen, wie Mathematik, Physik oder Deutsch. Fächerübergreifende Themen – wie BNE typischerweise sind – finden schwieriger Platz im Unterricht. Dazu kommen der Dauerstress und der Personalmangel, mit welchem die Schulen seit der Corona-Pandemie kämpfen. «Das sind allgemein erschwerende Umstände», fasst es Sokol zusammen. Auch über das Tempo stolpert éducation 21 regelmässig.
«Das Wissen rund um die Nachhaltigkeit bleibt nicht stehen. Die Gesellschaft diskutiert immer neue Themen. Und alte Themen erhalten einen neuen Drive», erläutert die Direktorin. Als Beispiel nennt sie Atomstrom. Mit dem Ukraine-Krieg sei der Energiemangel gekommen. Trotz europaweiter Beschlüsse zur Energiewende werde Atomstrom wieder als mögliche Energiequelle erachtet. «Das Wissen schreitet rasch voran – und ohne das aktuelle Wissen können Lehrpersonen nicht mit den Lernenden diskutieren», betont Sokol.
Mit dem bisher Erreichten ist die Direktorin grundsätzlich zufrieden. «Ich bin glücklich, wenn ich sehe, wie viel und Mannigfaltiges in den Schulen punkto BNE läuft.» Sie und ihr Team erhielten viele Mails von motivierten Lehrpersonen – mit Komplimenten, Inputs oder mit Erzählungen von eigenen Projekten und Herangehensweisen. «Es braucht den Willen und die Begeisterung der Lehrpersonen, um unsere Kinder auf die komplexe Gegenwart und die Zukunft vorzubereiten.»
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