Wohnen im Hefesilo: das Ehepaar Eva und Michael «Mike» Krüll mit Hündin Uma.
Wohnen im Hefesilo: das Ehepaar Eva und Michael «Mike» Krüll mit Hündin Uma.
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«Für ‹eckige› 08/15-Leute mit Schubladendenken wäre das hier nichts»

Eva und Michael Krüll leben dort, wo früher Melasse für die Hefeproduktion lagerte: im umgebauten Siloturm der ehemaligen Hefefabrik in Hindelbank im Kanton Bern. Zu Besuch bei aussergewöhnlichen Menschen in einer aussergewöhnlichen Wohnung mit gebogenen Wänden. 

Text: Alexandra Bucher / Bilder: Lea Moser

Unsere Blicke wandern der algengrünen Stahlfassade empor. Boah, sind diese beiden ehemaligen Hefesilos kolossal! Helfe mir einer auf die Sprünge: Woran erinnern mich die zylindrischen Stahltitanen? Als hätte ich laut gedacht, kommentiert die Fotografin: «Mich erinnern die Silotürme an ein Schiff.» Tatsächlich sehen die beiden Silos, die am Dorfeingang Hindelbanks ziemlich respekteinflössend thronen, den Schornsteinen eines Dampfschiffs verblüffend ähnlich – dann diese Bullaugenfenster. An Bord mit uns.

Am Eingang zu ihrer Wohnung im Erdgeschoss des grösseren der beiden Silos empfangen uns Eva und Michael «Mike» Krüll. Zwei stattliche Erscheinungen, zwei Menschen von Format. In schwarzer Montur weist uns das Ehepaar den Weg in sein Reich. Der erste Eindruck? Ganz schön düster hier. Farblich aus der Reihe tänzelt die Französische Bulldogge Uma in ihrem hellbraunen Fellkleid. Und auch Eva Krülls lila Bobfrisur tut es. Steht der taffen Halbdeutschen mit breitem Berner Dialekt fantastisch.

Die beiden Metal-Fans erweisen sich als äusserst gastfreundlich und erzählen bereitwillig von ihren bewegten Leben und darüber, wie es ist, in einem umgebauten Silo zu wohnen.

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Ein Meer von Schwarz und Schädeln

Stahlträger, Stahlelemente und Stahlfässer, eine hölzerne Decke über der weissen Wand und ein grauer Zementboden aus einem Guss verraten, dass der Architekt etwas für den Industriestil übrighatte und den kreisrunden Siloloft danach ausbaute. Das Interieur präsentiert sich wie dessen Besitzer in eher dunklen Farbtönen. Der Hang der beiden zum Morbiden ist nicht von der Hand zu weisen. Kunstobjekte mit Totenkopfsujet, wo man hinblickt. «Das ist halt unser Geschmack – wir spinnen beide ein bisschen», bemerkt Eva Krüll unverblümt.

Unsere Silo­wohnung ist rund, warm und höhlen­artig, das mag ich.

Etwas gar fröhlich wirkt da die quietschorange Küche. «Dieses Orange im 70er-Jahre-Chic fanden wir am Anfang grauenhaft», ruft die Silobewohnerin aus. «Aber mittlerweile gefällt es uns sogar.» Die ehemaligen Hefesilotürme zu Wohn- und Geschäftsräumen um- und ausgebaut hat Architekt Beat Schaer. Er entschied sich dafür, jeder der vier Silowohnungen einen eigenen Farbanstrich zu verpassen: Die Küchen aus Stahlfässern sind einmal pink, einmal blau, einmal schwarz und einmal – eben – orange.

Individuell sind die Wohnungen in der alten Hefefabrik auch in ihrer Grösse. Beim Ausbau der beiden Stahlsilos im Jahr 2012 zog Architekt Schaer drei Böden in die beiden Türme und verband die oberen Etagen mit einer Passerelle. So sind zwei grössere Maisonettewohnungen und zwei kleinere Loftwohnungen entstanden.

Heiss geliebte, heimelige «Höhle»

Die Krülls bewohnen den Erdgeschossloft mit knapp 70 Quadratmetern Wohnfläche. Die schmal gebaute Eva Krüll, von deren Nasenscheidewand ein zierlicher Doppelring baumelt, überragt ihren kahlköpfigen Mike – in Kapuzenpulli und mit getönter Brille und tätowierter Skeletthand auf dem Handrücken – um einen halben Kopf und ist dem gelassenen Gemüt stets ein Wort voraus. «Unsere Silowohnung ist rund, warm und höhlenartig, das mag ich», schwärmt sie. Auch Mike Krüll findet es heimelig, in einem Silo mit gebogener Wand zu wohnen. «Ich freue mich immer, wenn ich dasitze und weiss: Ich bin in Sicherheit.»

Derweil mir Mike Krüll einige seiner Arbeiten am Laptop zeigt – er ist selbstständiger Werbetexter –, kriecht Eva Krüll aus ihrer heiss geliebten «Höhle» auf den ebenso heiss geliebten Gartensitzplatz, um eine Zigarette zu rauchen. Ein eigenes Gärtchen? «Etwas vom Besten an unserer Erdgeschosswohnung!»

Immer nur lässig sei es aber nicht, das Wohnen im Erdgeschoss. Durch die 16 bodentiefen und wandhohen Fenster finden die Blicke Neugieriger leicht ihren Weg in die gute Stube. Auch knarze es quasi permanent: Holz in Verbindung mit Stahl arbeitet bei Wärme und Kälte. «Man muss es mögen und wohl sein an einem solchen Ort, und das ist nicht jeder», findet sie.

Stahlfässer als Küchenmöbel. Wäre es nach Eva Krüll gegangen, hätten sie eine andere Farbe. Doch mittlerweile mag sie den 1970er-Jahre-Chic des Anstrichs.
Stahlfässer als Küchenmöbel. Wäre es nach Eva Krüll gegangen, hätten sie eine andere Farbe. Doch mittlerweile mag sie den 1970er-Jahre-Chic des Anstrichs.

«Will ich haben!»

Der gebürtige Düsseldorfer mit Sanftmut in seinen hellblauen Augen wohnt seit vier Jahren im Silo, seine Frau seit einem. «Wir lebten für eine gewisse Zeit getrennt», erzählt das Paar. Die beiden lernten sich 2013 in einer Beiz kennen, ein Jahr später heirateten sie. Beide haben jeweils eigene Kinder im Erwachsenenalter, die längst ausgeflogen sind. Auf die Silowohnung stiess Mike Krüll über eine Annonce. «Ich stand vor den mir bis dahin unbekannten Silos, der Vermieter zeigte mir die Wohnung, und ich sagte: ‹Will ich haben!›», blickt er zurück. «Und weil ich ein komischer Kauz bin, hat er mich genommen.»

Weil ich ein komischer Kauz bin, habe ich die Silowohnung damals bekommen. Unser Vermieter mag eigenwillige Leute.

Als Eva Krüll vor gut einem Jahr zu ihm in den Loft zog, stellte sie die Junggesellenbude – vollgestopft mit seinen «Musikinstrumenten bis weiss nicht wohin» – einmal komplett auf den Kopf und richtete sie neu ein. Einen runden Raum zu möblieren, sei völlig easy gewesen. Genauso locker gehen die beiden damit um, dass sie zu zweit mit Hund in einem einzigen Raum ohne Zimmertüren leben. «Wir haben keine Hemmungen voreinander», sind sie sich einig. «Für ‹eckige› 08/15-Leute mit Schubladendenken und Wohnwand wäre das hier allerdings nichts», sagt sie, die in ihrem Leben schon 59-mal umgezogen ist.

Im Silo wird man jünger und jünger

Ob ein Silo insgeheim ein Jungbrunnen ist? Wenn man sich Eva und Mike Krüll anschaut, muss es so sein. Denn man zöge locker zehn Jahre ab. Sie trägt 62 Jahre Lebensweisheit mit sich, er 67 Jahre. Zu verdanken hätten sie das junge Aussehen ihrem Lebensstil und ihrer Art zu denken. «Wir haben uns unsere inneren Kinder bewahrt.»

Bevor, während und nachdem Mike Krüll zum Werbetexter und Eva Krüll zur Hypnosetherapeutin wurden, haben die beiden – allein und gemeinsam – musiziert, gesungen und Theater gespielt. Diese Passion ist ungebrochen. Früher in New-Wave- und Rockbands unterwegs, macht der Kreativkopf heute elektronische Musik mit Keyboard und Synthesizer. «Und ich singe», wirft Eva Krüll ein, die neben lauter anderen Berufen Sängerin und diplomierte Schauspielerin ist.

Homestory

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Gekommen, um zu bleiben

Ihre beiden Leben seien voller Action gewesen, erzählen Eva und Mike Krüll. Sie seien viel rumgekommen, hätten zu gewissen Zeiten von der Hand in den Mund gelebt. Umso schöner, heute eine ruhige Kugel in ihrer gemeinsamen «Höhle» im Silo zu schieben. Sie ist mittlerweile pensioniert, er arbeitet zu gern, als dass er sein kreatives Tun gänzlich an den Nagel hängen könnte. «Obergenial» findet es hingegen Eva Krüll, Rentnerin zu sein. «Ich muss nichts mehr, sondern darf nur noch.» Zum Beispiel mit Uma herumtollen, im eigenen Gärtchen sünnele oder die Serie Vikings schauen. Und Mike Krüll? Der textet indes mit Kopfhörern auf den Ohren am Küchentisch sitzend den neuesten Slogan für ein weisses Schoggistängeli mit Pralinéfüllung.

Süsses Leben im umgebauten Melassesilo. Gekommen, um zu bleiben? Mike Krülls Schlusswort spricht Bände: «Mich trägt man hier dereinst mit den Füssen voran hinaus.»

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