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Ausmisten, entrümpeln, neu sortieren: manchmal schmerzhaft, meist befreiend

Marion Savioz ist Ordnungscoach und Home Organizer und lebt nach der Devise «Weniger ist mehr». Gegründet hat die Französin ihr Business nach einem persönlichen Aha-Erlebnis. In ihrem Berufsalltag schätzt sie auch die zutiefst menschlichen Seiten, denn ob Lebenskrise oder Neuanfang in den eigenen vier Wänden: Beim Entrümpeln trennt man sich immer auch von Vergangenem.  

Text: Denise Muchenberger / Bilder: zvg

Wenn Marion Savioz etwas anpackt, dann richtig. «Ich hatte immer eine Liebe zum Detail, wollte meine Sachen akkurat erledigen», sagt sie. Das galt für den Job und das Privatleben. Auch bei ihrer ersten Schwangerschaft wollte sie nichts dem Zufall überlassen: «Ich rechnete mir aus, dass mir noch acht Monate Zeit bleiben würden, mein Zuhause aufzuräumen, zu entrümpeln und neuen Platz zu schaffen. Denn bis dahin habe ich mir gekauft, was ich wollte. Shopping gab mir ein gutes Gefühl», sagt sie.

Ordnungscoach und Home Organizer Marion Savioz hilft mit dem Neuanfang in den eigenen vier Wänden.
Ordnungscoach und Home Organizer Marion Savioz hilft mit dem Neuanfang in den eigenen vier Wänden.

Savioz war viele Jahre im Marketing und Sales tätig, hat für grosse Unternehmen im Bereich der digitalen Kommunikation gearbeitet und gut verdient. Irgendwann war ihre Wohnung voll mit Gegenständen, Kleidern, Accessoires, die sie nie brauchte, die keinen Zweck hatten, zu denen sie nicht einmal eine emotionale Verbindung verspürte. Also fasste sie den Plan, rigoros auszumisten. Gleichzeitig hat sie das Buch von Marie Kondo gelesen, einer japanischen Aufräumexpertin und Bestsellerautorin. «Dieses Buch hat mich an der richtigen Stelle berührt. Ich wollte immer mehr erfahren und habe weiter recherchiert. So fand ich unter anderem heraus, dass der minimalistische Lebensstil bereits in den 80er-Jahren in den USA aufkam.»

Neu gewonnene Leichtigkeit

Für die gebürtige Französin machte es auch aus ethischer Sicht Sinn, sich von Materiellem zu trennen und nach dem Leitsatz «Weniger ist mehr» zu leben. «Ich habe alles an soziale Einrichtungen gespendet. Natürlich könnte man die Sachen auch verkaufen, aber das wiederum nimmt viel Zeit in Anspruch.» Also hat sie Kofferraum um Kofferraum gefüllt, während sich ihr Zuhause leerte, geräumiger und heller wurde. «Mit jeder Ladung, die ich abgegeben habe, fühlte ich mich innerlich leichter, unbeschwerter, aufgeräumter», sagt sie. Savioz merkte, wie gut ihr das Ausmisten tat. «Und irgendwie wollte ich dieses Lebensgefühl, diese neu gewonnen Leichtigkeit mit anderen teilen.»

Bis ich schwanger wurde, habe ich mir gekauft, was ich wollte. Shopping gab mir ein gutes Gefühl.

Ihr Mann unterstützte sie in dem Vorhaben, sich als Home Organizer und Ordnungscoach selbstständig zu machen. So kündigte Marion Savioz ihren Job und gründete 2018 das Unternehmen «EaZen». Um ihre Dienstleistung bekannt zu machen, hat sie anfangs viel Zeit und Geld investiert. «Ich habe eine Website erstellt, soziale Medien mit Stories gefüttert und Flyer drucken lassen und sie in einem Umkreis von 30 Kilometern verteilt.»

Anknüpfen an erste Erfolge

Der erste richtige Auftrag als Home Organizer kam von einer Frau, die in einer Lebenskrise steckte. «Sie lebte alleine in einem grossen Haus. Nachdem sie ihren geliebten Job verloren hatte, war sie während zwei Jahren antriebslos und kaum fähig, etwas in ihrem Zuhause zu organisieren.» In einem ersten Schritt machten sie gemeinsam eine Tour durchs Haus. Dann stellten sie einen Plan auf, wie sie vorgehen würden. «Wir haben mit der Küche angefangen, einem neutralen Ort, der schnell ein Erfolgserlebnis zeigt.» Nach sechs Stunden hatten die beiden Frauen alles ausgemistet, aussortiert, neu geordnet und sich an einer aufgeräumten Küche erfreut. «Daran konnten wir anknüpfen», sagt Marion Savioz.

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Clevere Ordnungssysteme helfen beim Sortieren.
Clevere Ordnungssysteme helfen beim Sortieren.
Die Küche ist ein neutraler Ort, um mit dem Ausmisten zu beginnen.
Die Küche ist ein neutraler Ort, um mit dem Ausmisten zu beginnen.
Leere Kästen und Schränke bieten Platz für neue Ideen und Projekte.
Leere Kästen und Schränke bieten Platz für neue Ideen und Projekte.
Bücher ordnen oder gleich aussortieren?
Bücher ordnen oder gleich aussortieren?

Was sie bis dahin zu wenig auf dem Radar hatte: Als Ordnungscoach bekommt sie intime Einblicke in das Privatleben ihrer Klient*innen, oftmals kommt es zu emotionalen, tränenreichen Momenten. «Mittlerweile bin ich seit sechs Jahren im Business und habe ein Gespür dafür entwickelt, wann es eine Pause braucht. Und manchmal ist es meine Aufgabe, einfach nur zuzuhören.» Denn mit dem Ausmisten und Entrümpeln trennt man sich immer auch von Vergangenem, lässt Dinge los, die einen mit einem Menschen verbunden haben, der nun womöglich nicht mehr Teil des Lebens ist. «Aber diese zutiefst menschliche Seite des Jobs erfüllt mich sehr. Ich begleite meine Klientinnen und Klienten durch eine Phase, die manchmal schmerzhaft, aber im Nachhinein auch extrem befreiend ist.»

Schlüssel und Vertrauen übergeben

Als Home und Office Organizer kümmert sich Marion Savioz mittlerweile um fast alle Kund*innenwünsche. Sie hat jene, die einmal pro Monat mit ihr die Akten durchgehen und alles in ihrem Büro ordentlich ablegen wollen. Andere buchen sie, um neue, clevere, raumsparende Möbel und Ordnungssysteme zu kaufen. Wieder andere übergeben ihr den Schlüssel und das Vertrauen, damit sie abends, wenn sie von der Arbeit heimkommen, ein ordentliches, aufgeräumtes Zuhause vorfinden. «Über die Jahre habe ich mir alles selbst beigebracht. Mit jedem Auftrag gewinnt man an Erfahrung und lernt dazu.»

Mittlerweile bin ich seit sechs Jahren im Business und habe ein Gespür dafür entwickelt, wann es eine Pause braucht. Und manchmal ist es meine Aufgabe, einfach nur zuzuhören.

Savioz organisiert auch die Entsorgung der ausgemisteten Gegenstände, Kleider und Küchenutensilien. In Absprache mit ihren Klient*innen werden sie gespendet, Kaputtes auf den Sperrmüll gebracht, «und als ein Klient die gut erhaltenen Sachen verkaufen wollte, habe ich ihn dabei ebenfalls unterstützt.» Ein «Nein» kennt die 42-Jährige fast nicht, eher ein «Wieso nicht?» und «Wie könnte ich dieses Problem lösen?» Ordnung in das Leben anderer zu bringen, bereitet ihr Freude. «Ich bin glücklich, dass meine akribische Vorgehensweise nun anderen dient. Sie ist zu meiner Stärke geworden.»

Marion Savioz’ Tipps für ein ordentliches Zuhause:

  • Das Wichtigste: den ersten Schritt machen, also überhaupt damit anfangen. Am besten an einem Ort, der emotional neutral ist, also im Flur, in der Küche oder im Badezimmer. Als erstes alles ausmisten, was man schon lange nicht mehr gebraucht hat, was man in mehrfacher Ausführung besitzt oder was einem nichts (mehr) bedeutet.

  • Sich nicht zu sehr unter Druck setzen. Wenn man abends noch einmal durch die Sachen geht und doch etwas behalten möchte, ist das in Ordnung. Den Rest zeitnah entsorgen,

    auf den Sperrmüll, ins Brocki oder in eine soziale Ein­richtung bringen.

  • Die leeren Kästen und Schränke rausputzen, das gibt ein gutes Gefühl. Sie sind entstaubt, duften wieder fein und bieten Platz für Neues. Womöglich auch für neue Ideen und neue Projekte.

  • Ein kleines Budget in clevere Systeme und Möbel investieren, also in Schubladen, Schachteln, Boxen oder Aufteiler. Sich vorher fragen, aus welchem Material sie sein sollen und was farblich passt. Nur so viele Stück kaufen, wie wirklich nötig sind.

  • Den Putzschrank ebenfalls ausmisten. Es gibt mittlerweile viele nachhaltige Putzmittel. Marion Savioz mischt sie sich gerne selbst zusammen, aus Putzessig, Säure und Backpulver.

  • Ein gutes Umfeld schaffen, um auszumisten und zu putzen. Eine Playlist zusammenstellen mit Lieblingsmusik, die pusht. Und immer wieder mal eine Pause einlegen, sich etwas gönnen und begutachten, wie weit man schon gekommen ist.

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