Trotz technischer Hilfsmittel wie VR-Brillen bleibt der persönliche Kontakt zu Lehrpersonen im Unterricht eminent wichtig.
Trotz technischer Hilfsmittel wie VR-Brillen bleibt der persönliche Kontakt zu Lehrpersonen im Unterricht eminent wichtig. Credit: Adobe Stock
Bildung

Wie sieht er aus, der Unterricht der Zukunft?

Werden Lehrpersonen bald von Avataren ersetzt? Geht der Trend weiter in Richtung selbstorganisiertes Lernen? Zwei Experten geben Auskunft.

Andreas Zurbriggen

Über wenige Themen wird so hitzig debattiert wie über Bildung. Wie optimaler Unterricht auszusehen hat – darüber gehen die Meinungen oftmals diametral auseinander. Markus Neuenschwander ist Professor in der Institutsversammlung des Instituts für Bildungswissenschaften der Universität Basel und an der Pädagogischen Hochschule FHNW. Ob künstliche Intelligenz beim Unterricht der Zukunft Überhand nehmen wird oder ob es doch zu einem Revival des klassischen Frontalunterrichts kommt – das sind für ihn nur sekundäre Fragen. «Qualitativ hochstehender Unterricht hängt nicht primär von der Unterrichtsmethode ab», so der Pädagogikexperte.

Aufgrund vieler Ergebnisse aus der Unterrichtsforschung bestimmt laut Markus Neuenschwander die Tiefenstruktur des Unterrichts die Qualität. Dazu gehören zum Beispiel die Klassenführung, die kognitive Aktivierung bei fachlichen Aufgaben oder hohe Erwartungen an Schülerinnen und Schüler. «Die Tiefenstruktur von Unterricht kann vor allem von gut ausgebildeten Lehrpersonen verbessert werden», sagt Neuenschwander. Es ist ihm zufolge für den Unterricht der Zukunft wichtiger, dass Lehrpersonen in der Tiefenstruktur eine hohe Unterrichtsqualität erreichen, als welche Methoden – sei es Frontalunterricht, Gruppenarbeit oder individuelles Lernen – verwendet werden. «Wichtig bleibt eine gute Mischung zwischen verschiedenen Lernformen, so dass der Unterricht abwechslungsreich ist und verschiedene Lernprozesse anspricht.»

Lehrerberuf als Auslaufmodell?

Technische Hilfsmittel sind aus Bildungseinrichtungen kaum mehr wegzudenken. In Youtube-Tutorials kön-nen sich Studierende komplexe Sachverhalte erklären lassen, künstliche Intelligenz wie ChatGPT oder Gemini helfen wiederum bei der Recherche und beim Verfassen von Texten. Schon heute eröffnen Brillen Zugänge zu virtuellen Realitäten und in naher Zukunft werden Avatare auf die individuellen Bedürfnisse von Lernenden eingehen.

Markus Neuenschwander, Professor an der Universität Basel und an der Pädagogischen Hochschule der FHNW
Markus Neuenschwander, Professor an der Universität Basel und an der Pädagogischen Hochschule der FHNW Credit: zvg

«Nicht alles ist pädagogisch sinnvoll, was technisch möglich ist.»

Ist der Lehrerberuf somit ein Auslaufmodell? «Nein», meint Markus Neuenschwander: «Der persönliche soziale Austausch im Unterricht, gerade auch mit Lehrpersonen, wird auch in Zukunft eminent wichtig für guten Unterricht bleiben.» Er sieht weder die Überhandnahme von Technik noch eine reine Fokussierung auf selbstorganisiertes Lernen als zielführend für zukünftige Unterrichtsmodelle.

Attraktivität des Lehrberufs erhöhen

«Die Diskussion um selbstorganisiertes Lernen kam schon vor 100 Jahren mit der Reformpädagogik auf. Dieses Modell ist also nicht neu. Bei der Digitalisierung sehe ich einiges Potenzial bei Lernspielen und digitalen Lernhilfen, auch im überfachlichen Bereich. Der Einsatz digitaler Tools muss aber immer pädagogisch entschieden werden. Nicht alles ist pädagogisch sinnvoll, was technisch möglich ist», sagt Markus Neuenschwander.

Relevanter als die Thematik der Unterrichtstrends erscheinen ihm gesellschaftspolitische Fragen. Für den Unterricht der Zukunft wünscht er sich vier Punkte in diesem Bereich: Eine inklusive Bildung, bei der Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Merkmalen gemeinsam an Lernzielen arbeiten, qualitativ hochstehender Unterricht durch gut ausgebildete Lehrkräfte, Chancengleichheit in der Schule sowie die Erhöhung der Attraktivität des Lehrberufes.

Hohe Erwartungen an die Bildung

Als führende betriebswirtschaftliche Bildungsinstitution im Espace Bern Mittelland bietet die Wirtschafts- und Kaderschule (WKS) KV Bildung Bern unterschiedliche Bildungsangebote in verschiedenen Bereichen an – von der Grundausbildung der Kaufleute über die Berufsmaturität bis zur Höheren Fachschule Wirtschaft. Peter Kaeser steht der WKS KV Bern als Direktor vor. Wie malt er sich den Unterricht der Zukunft aus? «In meinen Augen dient Bildung in erster Linie dazu, ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben in der Gesellschaft führen zu können. Dieses Ziel wird sich auch in Zukunft nicht ändern.»

Was Peter Kaeser jedoch im Umbruch sieht, sind die Erwartungen, die an die Bildung herangetragen werden: «Noch vor 30 Jahren war es völlig normal, dass man nach einer Ausbildung zuerst einige Jahre Standardarbeiten ausgeführt und sich in kleinen Schritten etappenweise hochgearbeitet hat. Heute wird viel schneller erwartet, dass Wissen vernetzt werden kann und anspruchsvolle Tätigkeiten gemeistert werden.»

Das Lernen lernen

Wie wichtig der persönliche Kontakt zu Lehrpersonen auch in Zukunft sein wird, hängt laut Peter Kaeser vom Fokus der lernenden Person ab. «Möchte jemand als 35-Jähriger eine Zusatzausbildung machen, ist ihm der persönliche Kontakt vielleicht weniger wichtig als einer 17-jährigen KV-Lernenden, die sich in der Pause mit ihren Mitschülern austauschen und von einer Lehrperson eine persönliche Anleitung und Motivation erhalten möchte.»

Peter Kaeser, Direktor der WKS KV Bildung Bern
Peter Kaeser, Direktor der WKS KV Bildung Bern Credit: zvg

«Die Qualität, von einer Lehrperson oder einem Mitschüler im richtigen Moment einen entscheidenden Input zu erhalten, ist unersetzlich.»

Technische Mittel wie künstliche Intelligenz werden in Zukunft wohl noch vermehrt unterstützend zur Anwendung kommen, eine Gefahr von zu einseitigem Unterricht sieht Peter Kaeser hingegen nicht. «Eine digitalisierte Bildung ist nicht per se wertvoller als eine analoge. Jede Methode hat ihren Wert und ein wichtiger Teil des Unterrichts ist zudem das Lernen lernen, also zu merken, ob man sich eher seine Fachkompetenz durch Bücher aneignet, die Begleitung durch eine Lehrperson schätzt oder die Unterstützung von künstlicher Intelligenz», so der Direktor der WKS KV Bildung Bern.

Die Welt wird komplexer

Es sind verschiedenste Kräfte, die auf den Unterricht der Zukunft Einfluss nehmen. Eine Prognose, wie die Bildungslandschaft in fünf, zehn oder sogar zwanzig Jahren aussieht, lässt sich somit kaum machen. In einem Punkt sind sich die beiden Bildungsexperten jedoch einig: Auch die Schülerinnen und Schüler der Zukunft werden den Austausch mit Lehrpersonen nicht missen wollen. Ein rein selbstorganisiertes Lernen – alleine vor dem Laptop – wird daher kaum die Zukunft des Unterrichts sein. «Die Qualität, von einer Lehrperson oder einem Mitschüler im richtigen Moment einen entscheidenden Input zu erhalten, ist unersetzlich», so Peter Kaeser.

Worin sieht Kaeser die Herausforderungen für den Unterricht der Zukunft? «Die Komplexität der Welt und das Tempo der Veränderungen wird weiter zunehmen. Dies gilt es beim Unterrichten im Auge zu behalten. Wir müssen die jungen Leute lehren, wie mit dieser Komplexität umzugehen ist, wie auf Veränderungen reagiert werden kann und wie in diesem Umfeld sowohl die Fähigkeiten der Selbstreflexion und der Selbstkompetenz nicht zu kurz kommen. Dies werden aus meiner Sicht Kernkompetenzen der Zukunft sein.»

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