«Die Wohnzufriedenheit hat leicht abgenommen»
Wohl noch nie war der Wohnkomfort so hoch wie heute. Und doch wünschen sich Wohneigentümer*innen und Mieter*innen immer noch mehr davon – das Ganze gerne zu erschwinglichen Wohn- und Energiepreisen.
Alexandra Bucher
Das Kneten, das Flechten und das Backen eines Sonntagszopfs, das Schnippeln von Erdbeeren und das Einkochen derselben zu Konfi, das Hinzaubern eines Viergangmenüs für Gäste: Dafür brauche ich Küchengeräte, Stauraum und Arbeitsflächen. Folglich ist mir in meinem Zuhause eine geräumige Küche wichtig – gern mit direkt daran angegliedertem grosszügigem Essbereich. Ich möchte in meiner Wohnung respektive meinem Haus ungestört sein von Strassen- oder sonstigem Lärm, will mir einen ruhigen, hellen Arbeitsplatz für mein Homeoffice einrichten können. Die ÖV-Anbindung soll bitte möglichst gut sein; eine zentrale und doch ruhige Lage ist mir wichtig. Eine eigene Waschmaschine im Wohnbereich ist ein Muss, Gleiches gilt für einen Balkon zum Sünnele und Sein – und ein Kellerabteil und einen Estrich und …
Etwa so tönt es aus den Mündern der Schweizer Wohnbevölkerung. Mieter*innen und Wohneigentümer*innen stellen hohe Ansprüche an ihre Mietwohnung oder an die eigenen vier Wände. Gleichzeitig sollen Zins- und Nebenkosten bitte bezahlbar sein und bleiben. Das hat der aktuellste «Immo-Barometer» ergeben, eine Befragung zur Wohnzufriedenheit in der Schweiz.
Der «Immo-Barometer» – Die Befragung zur Wohnzufriedenheit in der Schweiz
Welche Faktoren führen dazu, dass jemand zufrieden ist mit seinem Daheim? Was ist Mieter*innen und Wohneigentümer*innen in ihrem Zuhause besonders wichtig, und wie verändern sich deren Ansprüche über die Jahre? Seit 1988 führt das Immobilienunternehmen Wüest Partner hierzu mindestens alle zwei Jahre eine gesamtschweizerische Umfrage durch und präsentiert die Ergebnisse in Form des «Immo-Barometers». Dabei befragt Wüest Partner mit Unterstützung des Hauseigentümerverbands Schweiz und des Schweizerischen Verbands der Immobilienwirtschaft rund 1000 repräsentativ ausgewählte Haushalte in der deutsch- und der französischsprachigen Schweiz zur gegenwärtigen Wohnsituation und zu allfälligen Veränderungsabsichten.
Was ist von so hohen Ansprüchen zu halten? Wir haben bei Simon Lüthi nachgefragt. Der Ökonom ist bei Wüest Partner Projektleiter des «Immo-Barometers». Gemeinsam mit Patrick Schnorf (Partner bei Wüest Partner) hat er die Umfrageergebnisse vom Juni 2023 zu objektspezifischen Faktoren (Abb. 1) und Umfeldfaktoren (Abb. 2) hinsichtlich Wohnzufriedenheit ausgewertet und im November 2023 die Resultate präsentiert. Er erzählt, warum die Wohnzufriedenheit zwar immer noch hoch, aber leicht rückläufig ist.
Simon Lüthi, Mieter*innen und Hauseigentümer*innen wünschen sich gemäss aktuellstem «Immo-Barometer» erschwingliche Mietzinse respektive Hypothekarzinsen, gleichzeitig weniger Lärmbelästigung, mehr Komfort und Platz, eine bessere Raumeinteilung, eine ideale Anbindung an den ÖV und vieles mehr. Sind diese Wünsche für Sie nachvollziehbar?
Grundsätzlich ist die Wohnqualität in der Schweiz im internationalen Vergleich sehr hoch. Das führt zu höheren Ansprüchen an das Zuhause, aber auch zu einer hohen Wohnzufriedenheit. Ich glaube aber auch, dass es in der Natur des Menschen liegt, dass er immer das Bestmögliche versucht herauszuholen. Im Gedicht «Das Ideal» von Kurt Tucholsky geht es genau darum: Wir möchten alles haben, können aber am Schluss nicht alles bekommen. Genauso ist es auch beim Wohnen. Man versucht, innerhalb der Möglichkeiten zu maximieren. Die verschiedenen Ansprüche sind für mich – zumindest teilweise – nachvollziehbar.
Welche zum Beispiel?
Man hat während der Coronapandemie viel Zeit zu Hause verbracht, auch tagsüber. Im Homeoffice hat man Dinge wahrgenommen, die einem vorher vielleicht weniger aufgefallen sind. Zum Beispiel stört die Strasse vor der Haustür beim Arbeiten zu Hause während der Rushhour viel mehr als abends vor dem Fernseher. Das ist ein möglicher Grund, wieso gerade die Wichtigkeit der Lärmisolation einen Sprung nach oben gemacht hat von vor Corona zu nach Corona. Auch der Klimawandel und die steigende Anzahl Hitzetage haben einen Effekt: Bei der Wohnungssuche wird es vermehrt ein Kriterium, dass sich die Wohnung im Sommer nicht bis ins Unermessliche aufheizt; auch das ist nachvollziehbar.
Sie nehmen beim «Immo-Barometer» unter die Lupe, wie zufrieden Mieter*innen und Eigentümer*innen mit ihrer Wohnsituation sind. Dafür befragen Sie sie zu einzelnen Wohnfaktoren. Wie legen Sie diese fest? Sind es bei jeder Befragung dieselben?
Einige Faktoren fragen wir immer wieder ab; sie halten sich konstant seit 2014. Seit da führen wir die Befragung online durch und sehen so zu besagten Faktoren eine schöne Zeitreihe. Wir greifen aber auch Trends auf und nehmen neue Kriterien hinzu oder löschen gewisse aus dem Fragekatalog heraus, wenn sie nicht mehr relevant sind.
Was wäre ein Trend, den Sie zuletzt als neuen Faktor aufgenommen haben?
Ein neuer und eher politisch geprägter Faktor sind die wahrgenommene Dichte des Wohnumfelds und der Abstand zum nächsten Gebäude. Wir haben diesen Wohnfaktor bei der aktuellsten Befragung erstmals als Kriterium aufgenommen und die Teilnehmenden gefragt, wie zufrieden sie damit sind.
Mit welchem Ergebnis?
Die Befragten, die ihr Wohnumfeld als dichter wahrnehmen, sind tendenziell etwas weniger zufrieden. Das betrifft vor allem die Mieter*innen. Jedoch gefällt es 85 Prozent der befragten Mieter*innen, die ihr Umfeld als dicht oder sehr dicht bebaut wahrnehmen, immer noch ziemlich gut oder sogar sehr gut. Menschen in dicht bebauten Gebieten sind mit der Aussicht oder den Aussen- und Grünflächen nachvollziehbarerweise etwas weniger zufrieden. Im Gegenzug profitieren sie von der Nähe zum öffentlichen Verkehr und den Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe.
Welche Ergebnisse der aktuellsten Haushaltsbefragung haben Sie besonders überrascht und wieso?
Was wir generell sehen, ist, dass die Wohnzufriedenheit leicht abnimmt. Sie ist noch immer auf sehr hohem Niveau. Aber die Leute waren lange konstant sehr zufrieden. Jetzt hat es einen leichten Rückgang gegeben (Abb. 3). Das hat uns doch ein bisschen überrascht.
Woran liegts?
Ein mitbestimmender Faktor dürften die Zins- und Nebenkosten sein. Gerade bei den Eigentümer*innen sahen wir eine gestiegene Preissensitivität. Die gestiegenen Kosten waren 2023 ein Kriterium, das die Wohnzufriedenheit der Hausbesitzer*innen geschmälert hat. Bei den Mieter*innen nahm man das noch weniger wahr. Das hängt aber mit dem Befragungszeitraum zusammen: Die Umfrage machten wir im Juni, also noch vor der Referenzzinssatzerhöhung und dem Anstieg der Bestandsmieten. Wir sahen sehr schön den Unterschied zwischen den Eigentümer*innen, bei denen die Zinsen schon gestiegen waren, und den Mieter*innen, bei denen die Mietzinse noch nicht gestiegen waren. Es wird für uns spannend werden, was dieses Jahr bei der Umfrage unter Mieter*innen herauskommen wird. Mittlerweile sind die Mietzinsanstiege ja grösstenteils durchgesetzt. Da erwarten wir, dass sich dieses Jahr auch bei den Mieter*innen im Vergleich zum Vorjahr eine angestiegene Kostensensitivität zeigen wird.
Unzufrieden sind die Leute aber nicht allein mit den Zinskosten, sondern auch mit anderen Wohnfaktoren und der Teuerung.
Genau. Einerseits sind neben den Zinskosten auch die Nebenkosten wie Strom- und Heizkosten gestiegen, und aufgrund der Inflation wurden die Haushaltsbudgets zusätzlich belastet. Andererseits sind die Leute aber unabhängig von den Kosten generell mit fast allen objektspezifischen Punkten ein bisschen weniger zufrieden als noch vor zwei Jahren. Die Ergebnisse sind zwar nicht bei allen Wohnfaktoren spürbar tiefer, aber es scheint sich ein leichter Unmut angestaut zu haben.
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