«Ich wollte nie zum Fernsehen, schliesslich bin ich sieben Jahre geblieben»
Dominic Deville prägte die SRF-Late-Night-Show «Deville» mit bissigem politischem Humor. Die Punkattitüde des ehemaligen Kindergärtners prägt auch sein aktuelles Bühnenprogramm «Off».
Sarah Sartorius
«Ich habe schon immer gerne Menschen unterhalten», sagt Dominic Deville beim Treffen vor der Vorstellung seines neuen Bühnenstücks «Off» im Zürcher Theater am Hechtplatz. «Deshalb wollte ich ursprünglich Lehrer werden.» Schliesslich wurde er zum «Unterhalter» eines noch jüngeren Publikums: Er wurde Kindergärtner. Eigentlich möchte er nicht mehr auf den einstigen Kindergärtner reduziert werden, sagt er im Gespräch. Trotzdem ist es ein wichtiger Teil seiner Biografie. Denn ohne diese Station in seinem Berufsleben hätte es wohl auch die Late-Night-Show «Deville» auf SRF, die er sieben Jahre lang geprägt hat, nie gegeben.
Nach dem zehnten Schuljahr mit dem Schwerpunkt auf musischen Fächern, reichte es Dominic Deville weder für das Gymnasium noch für das Lehrerseminar, wie er sagt: «Ich war zu mies in den mathematischen Fächern.» Die Berufsberatung riet ihm schliesslich, das Kindergartenseminar zu absolvieren. Er merkte schon nach der ersten Vertretung, dass dies das Richtige für ihn war. «Kinder in diesem Alter saugen alles auf, das ist grossartig und ich hatte viel Freiraum in der Gestaltung des Unterrichts», sagt er.
«Ich habe als Kindergärtner einiges anders gemacht. Wir hatten eine Kindergarten-Ratte im Klassenzimmer und haben Ramones-Lieder gesungen.»
Deville selbst ging in Deutschland, wo er bis zu seinem sechsten Lebensjahr lebte, in einen sogenannten «Kinderladen». Eine selbstverwaltete Betreuungsstätte, die aus einer Elterninitiative entstanden ist. Der antiautoritäre Geist der 68er-Bewegung, der dort wehte, habe auch seine Arbeit geprägt, sagt er: «Ich habe einiges anders gemacht. Wir hatten eine Kindergarten-Ratte im Klassenzimmer und haben Ramones-Lieder gesungen.» Doch ohne Regeln geht es auch im Kindergarten nicht. Als einmal nach der Pause die Hälfte der Kinder fehlte, weil sie nach Hause abgehauen waren, habe er gemerkt, dass eine gewisse Struktur nötig sei: «Gerade in diesem Alter brauchen Kinder klare Regeln.»
Zurück ins Elternhaus
Dominic Deville, damals knapp 20, hat 100 Prozent und alleine gearbeitet. Nach drei Jahren habe er gemerkt, dass er sich nicht weiterentwickeln könne. «Es ist eine Sackgasse, du beginnst alle zwei Jahre wieder bei 0, arbeitest immer auf derselben Stufe und kannst dich beruflich nicht weiterentwickeln», sagt er. Zudem sei es ein sehr einsamer Beruf. «Du bist den ganzen Tag nur mit Fünfjährigen zusammen, da wirst du mit der Zeit etwas verrückt.»
1999 beschloss Deville, der einen deutschen Pass besitzt, alle Zelte in Luzern abzubrechen und nach Berlin zu gehen. Ohne Plan und ohne konkretes Ziel. «Ich habe mich einfach treiben lassen und diverse Jobs gemacht», erzählt er: Am Telefon Versicherungen verkauft, in einem Skiladen in der Langlaufabteilung gearbeitet («Die haben mich nur wegen meines Schweizer Akzents genommen»), Plakate geklebt oder in der Nacht Schnee geräumt. Nebenbei hat er eine Punkband und einen Strassengolfclub gegründet. Aus dem Aufenthalt wurden zwei Jahre. «Zwischendurch bin ich immer wieder für ein paar Monate in die Schweiz zurückgekehrt und habe als Kindergärtner gearbeitet. Vom Lohn konnte ich wieder drei Monate in Berlin leben.»
«Meine Welt war die der Performance, ich trat mit Vorliebe in besetzten Häusern auf und hantierte mit Feuer und Motorsägen.»
Ein Bühnenunfall bei einem Auftritt seiner Band – er sprang beim Stagediven ins Leere – beendete diese Zeit jäh. Verschuldet, da unversichert, kehrte er in die Schweiz zurück und zog wieder bei seinen Eltern ein. «Sie haben mich und meinen Bruder immer in allem unterstützt und mir ein Gefühl des Urvertrauens vermittelt. Wie toll sie es fanden, dass ihr 24-jähriger Sohn wieder bei ihnen einzog, weiss ich nicht.»
Archaisch und konfrontativ
Mit seinem Punk-Duo Failed Teachers, mit dem er bis heute sporadisch live spielt, tourte er relativ erfolgreich als Strassenmusiker durchs Land. «Wir spielten Punkcovers und beschimpften das Publikum», erinnert er sich. Dort entdeckte ihn eine Eventagentur, nahm ihn unter Vertrag und engagierte ihn als «Marktschreier». «Es war damals, Anfang der 2000er, die Zeit des Guerilla-Marketings. Grosse Zigaretten-, oder Snowboardmarken setzten auf crazy Freestylevents.» Mit dem Lohn konnte er sich über Wasser halten. «Die Kleinkunstszene war damals weit weg für mich: Ich ging nie ins Theater. Meine Welt war die der Performance, ich trat mit Vorliebe in besetzten Häusern auf und hantierte mit Feuer und Motorsägen.» Diese erfrischende DIY-Punk-Attitüde hat sich Deville zum Glück später auch in seiner Late-Night-Show und seinen Bühnenprogrammen bewahrt.
Mit 35 wurde Dominic Deville zum ersten Mal Vater und griff wieder auf seinen Beruf als Kindergärtner zurück. Am Tag unterrichtete er, am Abend moderierte er. Mit der Zeit begannen sich die beiden Tätigkeiten zu vermischen und er spickte seine Moderationen mit Anekdoten aus dem Kindergartenalltag. Wieder kam jemand von aussen auf ihn zu und riet ihm, diese Erfahrungen in einem abendfüllenden Bühnenprogramm zu verarbeiten. Daraus entstand das Soloprogramm «Der Kinderschreck». Ein Grosserfolg.
Es war jedoch sein zweites, sperrigeres Programm «Der Bühnenschreck», das den Beginn seiner Fernsehkarriere begründete. Darin prügelte er sich etwa in einer Kartonstadt im Gorillakostüm mit Zuschauerinnen und Zuschauern. «Es war archaisch und konfrontativ. Im Publikum sassen auch Leute vom Schweizer Fernsehen und die haben anscheinend irgendwas in mir gesehen», sagt Deville.
Als SRF nach dem Ende der Sendung «Giacobbo/Müller» im Jahr 2016 diverse kreative Köpfe anschrieb, um eine neue Sendung zu entwickeln, war auch Dominic Deville darunter. Zusammen mit Regisseur Peter Luisi («Bon Schuur Ticino») und Komiker Patrick «Karpi» Karpiczenko entwickelte er eine Idee, aus der nach ein paar Umwegen schliesslich die Late-Night-Show «Deville» entstand, die bis im letzten Jahr auf Sendung war. «Ich wollte nie zum Fernsehen, schliesslich bin ich sieben Jahre geblieben», sagt er.
Kein «Fernsehschreck»
Die ganz breite Masse zu unterhalten sei nicht sein Ding, betont Deville. Die Gründe für das Ende der Sendung liegen denn teils auch darin. «Ich kann mich nicht verbiegen und unbeschwert mit einem rechten Politiker plaudern.» Der Abschied sei ihm nicht leichtgefallen, aber die Entschleunigung, die nach dem ständigen Sendungs-Marathon eingekehrt sei, habe er geschätzt. Auch zu Hause: Seine Partnerin, Schauspielerin und Regisseurin Simone Kern, war auch Teil der «Deville-Familie». «Unsere beiden Kinder mussten sich erst wieder daran gewöhnen, dass wir vermehrt zu Hause waren.»
Doch die Auszeit war von kurzer Dauer: Zurzeit ist Dominic Deville mit «Off» noch bis Juni auf «Ochsentour», wie er es nennt. Im Herbst geht es weiter. Bestätigt, auf der Bühne weiterzumachen, hat ihn auch die Auszeichnung mit dem renommierten Kleinkunstpreis Salzburger Stier 2023. Regie bei «Off» führt seine Partnerin. Sie hat ihm auch geraten, den Text aufzuschreiben und nicht nur zu improvisieren wie bisher. «Mein Lampenfieber war unerträglich vor Bühnenauftritten. Ich hasse Proben, aber es hilft enorm.»
«Off» ist eine bissige, rasend schnelle Stand-Up-Show mit politischer Message – etwa zur fehlenden Inklusion von Menschen mit Behinderung und einigen sehr lustigen Seitenhieben gegen SRF. «Eigentlich hätte ich sie ja konsequent ‹Der Fernsehschreck› nennen sollen», sagt Deville. «Aber ich hatte keine Lust, als bald 50-Jähriger mit einer solchen Show zu touren. Und übers Fernsehen gibt es ehrlich gesagt gar nicht so viel Lustiges zu erzählen.»
Und wie sieht er seine berufliche Zukunft nach «Off»? «Ich könnte mir vorstellen, Kunstschaffende hinter den Kulissen zu unterstützen. Oder einen Roman schreiben?»
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