Der Garten Eden Portugals
Von Pracht-Architektur über Fado-Kultur bis hin zu Klöstern und Märchenschlössern – Lissabon hält einige Überraschungen bereit. Auch Exkursionen nach Belém und Sintra lohnen sich.
Text: Maria Liessmann / Bilder: Adobe Stock
Gemächlich rumpelt das alte Tram bei sommerlicher Hitze durch die Altstadt von Lissabon. Holzbänke, offene Fenster, man fühlt sich in die Anfänge des 20. Jahrhunderts versetzt. Kein Wunder, denn die Wagen der Eléctrico sind original aus den 1930er-Jahren. Das historische Gefährt bietet einen romantischen Anblick von aussen, für die Besucherinnen und Besucher ist es ein praktisches Fortbewegungsmittel. Die Linie 28 fährt die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der portugiesischen Hauptstadt ab, steigt man zusätzlich noch in die Linie 12 um, umrundet man den Burgberg, auf dem in 110 Metern Höhe das Castelo de São Jorge thront. Das 6000 Quadratmeter grosse Gelände sowie das Kastell können auf eigene Faust oder während einer Führung erkundet werden. Die Aussicht über Lissabon ist fantastisch, zahlreiche Bänke unter schattigen Pergolen laden zum Verschnaufen ein. Ein wichtiger Punkt, den man bei einem Sommerbesuch nicht ausser Acht lassen sollte.
Der eigentliche Charakter der Stadt erschliesst sich am besten bei Stadtspaziergängen durch die Viertel. Da Lissabon reich an Kultur und Sehenswürdigkeiten ist, empfiehlt sich ein mehrtägiger Aufenthalt. Man ist schnell vereinnahmt von dem herrschenden Flair – eine eigentümliche Mischung aus dem äusseren Westzipfel Europas, an dem der einstige Glanz der Blütezeit Portugals noch ablesbar ist, der salzigen Weite des nahen Ozeans und der trockenen Hitze Afrikas, die auch schonmal in einer Sandwolke aus der Sahara hinüberschwebt und die Stadt in einen gelben Nebel taucht.
Bauwerke und Kirschkern-Spucken
Prächtige Bauten zieren die Altstadt, imposant der an drei Seiten mit Arkadengängen umsäumte Praça do Comércio direkt am Wasser. Händlerinnen und Händler bieten unter den Säulen ihre Waren an, Restaurants und Bars öffnen ihre Terrassen, Musik wird gespielt. An der zum Fluss Tejo hin offenen Seite des Platzes sitzt man herrlich auf einer Steintreppe, die direkt ins Wasser hineinführt. Augen schliessen und Runterfahren. Überquert man den Platz wieder Richtung Stadt, gelangt man vorbei an der bronzenen Reiterstatue von König Joseph I., der zur Zeit des Erdbebens 1755 regierte, und unter dem monumentalen Triumphbogen, dem Arco do Triunfo, hindurch die Rua Augusta hinauf. Rechts und links schlängeln sich kleine Gassen, schon bald erreicht man den populären Platz Rossio. Auf seinem weissen Kopfsteinpflaster sind in Schwarz die Wellen des Atlantiks nachempfunden.
Am oberen Ende prunkt das Nationaltheater, das 1846 eröffnete und bis heute klassische Aufführungen zeigt. Doch bevor man allenfalls hier das Programm studiert, ein kurzer Abstecher nach rechts. An der Stehbar A Ginjinha Espinheira stehen die Passant*innen ab dem frühen Abend Schlange, um Lissabons berühmten Sauerkirschlikör Ginjinha, kurz Ginja, zu trinken. Unbedingt probieren! Nicht nur das Flair ist einzigartig, Ginja ist auch köstlich. Der Tradition gemäss isst man die im Glas befindlichen Sauerkirschen genüsslich auf und spuckt die Kerne ungeniert vor dem Lokal auf den Boden. Das Ganze ist so beliebt, dass es mittlerweile überall in Lissabon und sogar in einigen Orten ausserhalb kleine Ginja-Bars gibt, die am Rossio ist die älteste.
Wendet man sich derart gestärkt wieder der Stadt zu, fällt auf, dass zwischen den Häuserreihen ein mehr als haushohes, reich mit Schnörkeln im neugotischen Stil verziertes Eisenmonstrum hervorragt. Bei näherem Herantreten wird klar: es ist ein opulent verzierter Aufzug, der Elevador de Santa Justa, der die Unterstadt mit der Oberstadt verbindet. Zwei historische, holzvertäfelte Kabinen mit messingbeschlagenen Fernsten befördern die Passagier*innen 45 Meter in die Höhe. Oben angelangt eröffnet sich ein herrlicher Ausblick auf das Castelo de São Jorge. Dergleichen Beförderungsmittel findet man in Lissabon mehrfach. Standseilbahnen, Aufzüge und gar lange Rolltreppen unter freiem Himmel führen von der Unterstadt Baixa in die Oberstadt Bairro Alto und ersparen dem Besuchenden das Treppensteigen.
Geköpfte Ananas am Torre de Belém
Ein lohnenswerter Tagesspaziergang widmet sich dem etwas weiter ausserhalb gelegenen Stadtteil Belém. Von hier aus brachen im 15. Jahrhundert portugiesische Seefahrer zu ihren Entdeckungsreisen auf. Aus jener Zeit stammen auch die manuelinischen Meisterwerke Torre de Belém und Mosteiro do Jerónimos, die heute UNESCO-Welterbe sind. Vom robusten Torre de Belém, der direkt ins Meer hineingebaut wurde, blickt man weit hinaus. Vorher muss aber die Brücke vom Ufer bis dorthin überquert werden. Dabei kann man nur hoffen, von den hochspritzenden Wellen nicht nass zu werden, wobei das je nach Temperatur auch angenehm erfrischend sein kann. Hat man den Turm erreicht und ist hinaufgestiegen, wird die einstige Seefahrermentalität förmlich spürbar. Schwere Holzbalken, dicke Mauern, die Brise des Meeres in der Nase.
Zurück auf dem Vorplatz des Torre bieten Verkäufer*innen von erstaunlichen Karren eine ganz spezielle Ware an: Am Fliessband werden Ananas geköpft und darin Piña Colada dargereicht. Ein Publikumsmagnet! Direkt am Wasser entlang führt der Weg weiter zum Mosteiro do Jerónimos. Die gesamte Kalkstein-Fassade des Klosters, die Fenster, die Türen, die Decken, der Kreuzgang – alles ist reich verziert, eine kunstvolle Pracht der Architektur.
Stadtspaziergänge machen hungrig und bei einem Aufenthalt in Lissabon darf natürlich ein Besuch in einem Fado-Lokal nicht fehlen. Ihren Ursprung hat die Fado-Kultur in den Armenvierteln der Stadt, im 19. Jahrhundert wurde sie auch in der bürgerlichen Schicht salonfähig und ist heute fester Bestandteil vieler portugiesischer Städte, insbesondere aber Lissabons. Der oder die Fadista singt von Liebeskummer oder traurigen Ereignissen zur Begleitung der klassischen Gitarre. In der Adega Machado in der Baixa etwa interpretieren junge Musiker*innen historische Fados, dazu gibt es mehrgängige Menüs. In der Associação do Fado Casto zeigt die junge Fadisten-Szene rund um Klubbesitzer und Fado-Gitarrist Pedro de Castro bei Wein und Petiscos, portugiesische Tapas, ihr Können. Ein wunderbarer Abschluss eines erlebnisreichen Tages.
Bunte Märchenschlösser in wilder Natur
Ein überraschendes Highlight erwartet einen, wenn man an seinen Städtetrip noch drei Tage anhängen kann und sich in den 30 km entfernten Parque da Peña begibt. Nicht umsonst wird er auch Garten Eden Portugals genannt. Hauptort ist Sintra, das an sich schon bezaubernd anmutet. Kleine Gassen, bunte Häuser, winzige Ginjas. In der Villa Bela Vista, einem luxuriösen Bed & Breakfast, hat man einen überragenden Blick über den Ort und auf den Palácio Nacional de Sintra. Dieser zeigt sich bei einer Besichtigung mit prunkvoller Innenausstattung von einem mit blauen Zierkacheln geprägten Saal bis hin zu opulenten Schlafgemächern.
Auf dem eineinhalbstündigen Wanderweg vom Palácio Nacional de Sintra zum Palácio da Peña offenbart sich die Analogie zum Garten Eden. Steile Felsabfälle, üppige Palmen, urwaldartige Ranken, plätschernde Bäche, pittoreske Ausblicke säumen den wild anmutenden Weg. Man kreuzt die arabische Burganlage Castelo dos Mouros und gelangt schliesslich zum märchenschlosshaften Palácio da Peña, der in bunten Farben leuchtet. Alle Paläste können besichtigt werden. Wer auf dem Rückweg nach Lissabon noch immer nicht genug von Schlössern hat: Der Palácio Nacional de Queluz, der Palast des letzten portugiesischen Königs, steht Schloss Versailles in fast nichts nach.
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