Eintauchen in die neue, alte Welt
Mehr als eine Million Tourist*innen besuchen jedes Jahr die traumhaften Sandstrände der Dominikanischen Republik und lassen die pittoreske, koloniale Hauptstadt Santo Domingo links liegen. Zu Unrecht.
Text: Dominic Geisseler / Bilder: Adobe Stock
«Dominican Colors» – Farben der Dominikanischen Republik – nennt sich die halbtägige Tour, die in fast allen der grossen Luxushotels in Punta Cana angeboten wird. Sie führt ein paar Kilometer ins hügelige Hinterland dieser knapp 50 000 Quadratmeter umfassenden Karibikinsel. Der Besuch einer Kaffeerösterei gehört dazu, eine Tabakmanufaktur wird besichtigt, und am Ende steht die kleine Handelsstadt Higüey auf dem Programm mit ihrer protzigen Wallfahrtskirche und dem kleinen, lokalen Gemüsemarkt.
Das ist es, was die meisten Tourist*innen, die jedes Jahr ihre Ferien in den exklusiven Resorts an den karibischen Traumstränden verbringen, von der Dominikanischen Republik zu sehen bekommen. Schade. Denn nur knapp 200 Kilometer westlich von Punta Cana liegt eine der schönsten Kolonialstädte von ganz Mittel- und Südamerika: Santo Domingo. «Die herrlichste Stadt der Welt mit ihren Blumen, Parks und den fröhlichen Menschen», versucht José vorne im vollbesetzten Touristenbus durch das krächzende Mikrofon seinen Geburtsort beliebt zu machen. Mag sein, dass er etwas voreingenommen ist, doch die meisten der mit bunten Hemden, Smartphones und Sonnenkäppli ausgestatteten Dom-Rep-Besuchenden hören gar nicht hin. Ein deutsches Ehepaar brummelt etwas von «zu gefährlich», «zu schmutzig» und «weit weg», bevor es sich artig verabschiedet und in Richtung Abendbuffet verschwindet.
Der Verkehrslärm ist weit weg
Zu weit weg? Falsch! Nur gerade zwei Stunden braucht das Taxi, das einen vom Hotel für umgerechnet rund 150 Franken bequem und direkt in den Moloch chauffiert. Und ja, Santo Domingo ist riesig. Über drei Millionen Menschen leben hier, rund ein Viertel der gesamten Bevölkerung der República Dominicana. Es gibt chaotische Einfallstrassen, gigantische Einkaufszentren und Armenviertel. Und zugegeben, der erste Eindruck ist denn auch eher zwiespältig, wenn man sich auf der mehrspurigen Küstenstrasse von der Billig-Touristenhochburg Boca Chica her der Hauptstadt nähert. Verkehrschaos, Baustellen, Lastwagen. Fussgänger*innen und Pferdekarren lassen den Verkehr nur im Schritttempo passieren. Doch kaum hat man die Puente Ramón, die Brücke, die über den Río Ozama führt, erreicht und fährt auf der Avenida Deñó in die historische Altstadt hinein, wird es ruhiger. Der Verkehrslärm ist plötzlich weit weg, nur noch als dumpfes Brummen wahrnehmbar, und man taucht ein in eine neue, alte Welt.
Zentraler Platz dieser seit 1990 zum Unesco-Weltkulturerbe gehörenden «Zona Colonial» ist der Parque Colón mit den grossen, schattigen Platanen, den vielen kleinen Cafés und Ateliers, den Zigarrenläden, in denen man Arbeitern beim Tabakdrehen zusehen kann, den vielen Bänken, auf denen ältere Männer ihre Zigarren rauchen und Mütter die spielenden Kinder im Auge behalten. Begrenzt wird der Platz im Süden von der eindrücklichen, 1540 fertiggestellten Catedral Santa María la Menor, der ersten Kathedrale der neuen Welt, die als eines der ältesten noch bestehenden Gotteshäuser auf dem amerikanischen Kontinent gilt. Nach Osten führt die autofreie Geschäftsstrasse El Conde, auf der Enrique Iglesias das Video für seinen Hit «Bailando» drehte, zur am Fluss gelegenen Festungsanlage Fortaleza Ozama, gesäumt von kleinen Restaurants, Bars und Clubs, die vor allem am Wochenende bis in die Morgenstunden geöffnet haben.
Historische Hotels und protzige Promenade
Hier ganz in der Nähe, an der Calle Las Damas, der ältesten Kopfsteinpflasterstrasse Amerikas, liegt eines der schönsten Hotels von Santo Domingo, das Hodelpa Nicolás de Ovando. Untergebracht in drei renovierten, historischen Gebäuden, bietet dieser ehemalige Herrschaftssitz eines Gouverneurs direkt am Fluss gelegen wunderschöne, mit antiken Möbeln ausgestattete Zimmer, die sich um einen lauschigen Patio samt kleinem Schwimmbad gruppieren. Oder das Casas del XVI, ein ebenfalls historisches Gebäude aus dem 16. Jahrhundert mit zwei Pools und lauschigen Innenhöfen. Und nur ein paar Meter weiter befindet sich das trendige Restaurant Maraca an der Calle Arzobispo Nouel, das exzellente Fischgerichte serviert. Sowieso bietet die Ciudad Colonial eine grosse Vielfalt an Restaurants. Etwa das traditionelle Cafè el Conde mit kalten und warmen Snacks, das bis weit in die Nacht geöffnet ist und wo die Kellnerinnen und Kellner auch mal selber beim Karaoke mitmachen. Oder das El Búho Eatery, wo sich die Jeunesse dorée von Santo Domingo zum Sehen und Gesehenwerden trifft. Ein Hotspot ist zudem die Plaza de España mit der Festung Alcázar de Colón, dem ehemaligen Sitz des Vizekönigs, am nördlichen Ende der Altstadt. Hier gruppieren sich Dutzende von Lokalen – vor allem von Touristinnen und Touristen besucht – um einen eindrucksvollen Platz, auf dem abends Musiker*innen auftreten, Kinder spielen oder auch mal ein spontaner Fussballmatch stattfindet.
Wem das fast zu schön und zu idyllisch ist, sollte noch einen Abstecher zur Malecón machen. Ähnlich der gleichnamigen, mehrspurigen Avenida im kubanischen Havanna und nur ein paar hundert Meter von der Plaza de Colón entfernt, führt diese stark befahrene Strasse mehrere Kilometer der Küste entlang, gesäumt von modernen, gläsernen Wolkenkratzern, Appartement-Blöcken und luxuriösen Businesshotels, die meisten mit integriertem Casino. Auf der Uferseite gibt es ein paar Glacé-Stände und Kioske, wo sich die Einheimischen nach Feierabend zu einem Bier oder einer Piña Colada treffen. Und die Chicos ihre Chicas mit möglichst lautstarker Merengue-Musik zu beeindrucken versuchen. Viel los ist allerdings nicht auf der vom früheren Diktator Rafael Leónidas Trujillo angelegten, protzigen Promenade. Ironischerweise wurde der Generalísimo 1961 hier ermordet.
Die Badewanne Santo Domingos
Natürlich hat Santo Dominigo, die älteste von Europäern errichtete Stadt in der neuen Welt, noch viel mehr zu bieten. Das Panteón de la Patria etwa, das an die Zeiten Trujillos und Francos erinnert, das Naturhistorische und das Historische Museum etwas ausserhalb der Stadt oder der Botanische Garten, wo auf 180 Hektaren eine riesige Vielfalt an einheimischen Pflanzen und Orchideen zu bewundern ist. Doch die vor über 500 Jahren als Nueva Isabela gegründete Stadt lohnt einen Abstecher, auch wenn er nur einen oder zwei Tage dauert, der zeigt, dass die Dominikanische Republik mehr zu bieten hat als weisse Sandstrände und luxuriöse Touristen-Resorts.
Auf dem Weg von Santo Domingo nach Punta Cana passiert man übrigens ein paar vor allem bei den Einheimischen beliebte Badeorte. Nur ein paar Kilometer von der Hauptstadt entfernt liegt Boca Chica. Der «kleine Mund» gilt als die Badewanne von Santo Domingo und ist vor allem am Wochenende heillos überlaufen mit Familien, die am Strand ihr mitgebrachtes Picknick ausbreiten, Jugendlichen, die ihre fussballerischen Künste demonstrieren und aufreizenden Latinas, die auf eine Bekanntschaft der einen oder anderen Art hoffen. Eine knappe Stunde weiter östlich trifft man auf La Romana. Die Stadt selber, die ihren Aufschwung dem Zuckerrohr-Anbau Anfang des letzten Jahrhunderts verdankt, kann man getrost links liegen lassen.
Interessant hingegen ist das am östlichen Rand gelegene Casa de Campo. Das «Landhaus» ist mit 7000 Hektar und 1700 Villen eine der grössten und exklusivsten Ferienanlagen der Karibik. Sie verfügt über luxuriöse Hotels und Appartements, extrem teure Restaurants, bei denen ein strikter Dresscode gilt, einen eigenen Flugplatz sowie Golf-, Polo- und Tennisplätze. Hier verbringen reiche Dominikaner*innen und vor allem noch reichere Europäer*innen ihre Ferien. Die Villen werden zum Teil für über 40 000 Franken pro Woche vermietet. Der spanische Superstar Julio Iglesias etwa hat seinen ständigen Wohnsitz nach Casa de Campo verlegt.
Treffen beim Sundowner
Noch etwas weiter östlich wirds wieder einfacher. Bayahibe ist ein kleines Fischerdorf, das mehr oder weniger seinen Charakter bewahrt hat. Das beste Haus am Platz, das Dreisternehotel Bayahibe, wird gerade umgebaut, aber auch die paar kleinen Pensionen entlang der Calle Bahia direkt am Meer bieten genügend Komfort für zwei, drei Strandtage. Laut wird es hier nur am Morgen, wenn die Busse von den grossen Hotels ihre Touristinnen und Touristen ausspucken, die einen Tagestrip auf die Insel Saona gebucht haben. Dutzende Katamarane und Schnellboote fahren an die Traumstrände dieses im 420 Quadratkilometer umfassenden Naturschutzgebiet Parque Nacional Cotubanamá gelegenen Eilands. Dort wird geschnorchelt und gebadet, es gibt ein grosses Buffet mit frischen Fischen und Hummer vom Grill. Und am Abend geht es zurück mit Salsa, Partystimmung und viel Rum, der auf den Booten gratis ausgeschenkt wird. Wenn die Busse weg sind, wird es wieder ruhig in Bayahibe. Man trinkt in einer der vielen kleinen Bars und Restaurants unten am Hafen ein Presidente, das lokale Bier der Dominikanischen Republik, oder geniesst von der Dachterrasse des hervorragenden italienischen Restaurants Mare Nuestro den wunderbaren Sonnenuntergang und das Treiben auf dem Dorfplatz.
Wem das alles zu viel Authentizität ist, der logiert im mächtigen, von Dutzenden von Sicherheitsleuten bewachten Hilton, das sich gleich anschliessend an den kleinen Dorfstrand von Bayahibe ausbreitet – mit Privatstrand, riesigen Pools, abendlichen Folklore-Shows, zahlreichen Restaurants und eigenem Familienbereich. Dominikaner*innen sieht man hier – ausser im Service – keine. Oder man nimmt ein Taxi, das einen in knapp einer Stunde zurück in die heile Welt von Punta Cana bringt.
Wer etwas reiseerfahrener ist, das quirlige Santo Domingo überstanden hat und nochmals eintauchen möchte in die bunten Farben, die mitreissende Musik und Atmosphäre dieses lebensfreudigen Landes, fährt mit dem Bus. Einfach in Bavaro aussteigen, und in fünf Minuten ist man mit einem der hier rund um die Uhr bereitstehenden Taxis wieder zurück im Hotel. In jenem von der Aussenwelt abgeschotteten Paradies, wo sich die Gäste auf der grossen Terrasse beim Pool zum allabendlichen Sundowner treffen. Mit einem Drink in der Hand den tosenden Wellen zuschauen und vom Ausflug mit Juan zum kleinen, pittoresken Touristenmarkt im Provinzstädtchen Higüey schwärmen.
Anreise und Tipps
Direktflüge mit Edelweiss nach Punta Cana (jeweils Sonntag und Dienstag, ab CHF 430.– pro Weg) oder nach Puerto Plata (jeden Donnerstag), dann mit Bus oder Taxi nach Santo Domingo (ca. 2 Stunden Fahrzeit, CHF 150.–) Linienflüge nach Santo Domingo mit Iberia über Madrid oder mit Delta Airlines über New York (ab CHF 850.–)
UNTERKUNFT SANTO DOMINGO: Hotel Hodelpa Nicolás de Ovando, Calle Las Damas (DZ ab CHF 200.–) Hotel Casas del XVI, Calle Padre Billini (DZ ab CHF 250.–) Restaurant La Maraca, Calle Arzobispo Nouel Cafetería El Conde, Parque Colón
UNTERKUNFT BAYAHIBE: Hilton Romana, direkt angrenzend an die Playa Bayahibe (DZ ab CHF 350.–) Apartamentos Magallanes, einfache Zimmer, direkt am Meer (DZ ab CHF 50.–)
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