«41 Jahre jung, 41 Krebsherde, ich galt als exotischer Fall»
Mirjam, 43, aus Zürich, teilt ihre ergreifende Geschichte über den Kampf gegen Brustkrebs. Trotz aller Herausforderungen findet sie Kraft durch ihre Familie und das unterstützende Netzwerk von Pink Ribbon Schweiz.
Brustkrebs betrifft Millionen Frauen auf der ganzen Welt. Alleine in der Schweiz erhalten jährlich rund 6500 von ihnen die lebensverändernde Diagnose. Und die Krankheit betrifft nicht nur Ältere, auch viele junge Mütter wie Mirjam aus Zürich sind davon betroffen.
In Zeiten der Verzweiflung schöpfen sie oft Kraft aus dem Rückhalt ihrer Familie und Freund*innen. Aber auch Netzwerke und Organisationen wie Pink Ribbon Schweiz können dabei helfen, sich im Kampf gegen den Brustkrebs nicht allein zu fühlen. Mirjam erzählt im Interview ihre bewegende Geschichte:
Liebe Mirjam, wann hast du die Diagnose Brustkrebs erhalten und wie hast du darauf reagiert?
Mirjam: Im Herbst 2022 erhielt ich die Diagnose Brustkrebs: 41 Jahre jung, 41 Krebsherde, ich galt als exotischer Fall. Während sich für die anderen das Karussell gleichsam weiterdrehte, wurde ich plötzlich in eine beängstigende Realität katapultiert. In den Wochen davor hielt ich vor Angst den Atem an, während ich wie auf Autopilot weiter in der Rolle als Mami und Lehrerin funktionierte. Als die Befunde schliesslich vorlagen, brach ich zitternd zusammen.
Welche Therapien musstest du machen?
Nach zwei Operationen, gefolgt von Komplikationen und einer äusserst seltenen Blutvergiftung konnte ich endlich mit der Chemotherapie starten. Diese war für mich überlebenswichtig, da leider auch mit der Nachresektion nicht alles entfernt werden konnte. Im Zeitraum eines knappen halben Jahres durchlief ich insgesamt 16 Chemo-Sessions. Danach folgten 27 grossflächige Bestrahlungen der gesamten Gefahrenzone.
Du hast zwei kleine Töchter. Wie alt waren sie bei deiner Diagnose und wie bringt man seinen Kindern bei, dass das Mami krank ist?
Sie waren damals 5 und 8 Jahre alt. Als ich ihnen unter Tränen mitteilte, dass ich Krebs habe, forderte meine ältere Tochter verunsichert: «Hör auf zu weinen, Mami!» Auch bei ihr brachen nun alle Dämme. Und so begann unsere gemeinsame Reise, bei der wir versuchten, den Alltag so gut wie möglich aufrecht zu erhalten. Mein Mann und ich legen grossen Wert auf eine kindgerechte Kommunikation. Deshalb wandten wir uns an eine Onko-Psychologin. Wir sollten ihnen die Unterschiede zwischen dem tierischen «Krebs» und der Krankheit Krebs in verständlichen Bildern vermitteln, um falsche Vorstellungen zu vermeiden. In der Kommunikation sollten wir bei Fragen der Kinder die Wahrheit sagen, denn Kinder haben feine Antennen.
Wie sind die beiden damit umgegangen?
Die Kinder waren zu Beginn sehr verunsichert. Eine Frage traf mich immer wieder mitten ins Herz: «Mami, kannst du daran sterben? Das darfst du nicht. Ich würde dich so vermissen!» Nach der turbulenten Anfangszeit fanden wir mit den Therapieplänen langsam eine Routine im Familienalltag. Meine wachsende innere Kraft und Zuversicht übertrugen sich auch auf die Kinder. Da sie unsere Nähe mehr denn je brauchten, verwandelten wir unser Elternschlafzimmer in ein Familienschlafzimmer. Es ist nicht so, dass man ständig im Strom der Traurigkeit untergeht. Das Leben geht weiter, mit Freude, mit innigen Momenten, Streit und allem, was dazu gehört.
Was war das Schwierigste für dich?
Der Ausnahmezustand in den ersten Wochen war das Schwierigste überhaupt. Die lähmende Ungewissheit wurde von niederschmetternden Befunden gefolgt, begleitet von einer tiefen Angst um mich und natürlich um meine Kinder. Dann kamen die Operationen und wochenlangen Komplikationen, die schliesslich in einer Blutvergiftung gipfelten. Es fühlte sich an, als würde sich ein riesiges schwarzes Loch vor mir auftun. Der Beginn der Chemotherapie war für mich wie ein Befreiungsschlag. Endlich konnte ich anfangen zu kämpfen.
Wer oder was hat dir, neben dem Rückhalt deiner Familie, besonders geholfen, während du gegen den Brustkrebs gekämpft hast?
Das bewusste Fokussieren auf Positives und das Setzen von Zielen half mir über weite Strecken. Trotz Chemo täglich 10‘000 Schritte zu meistern gab mir das Gefühl, die Zügel wieder in den Händen zu halten. Aus Gehen wurde Joggen. Schliesslich wurde ich aufmerksam auf den Pink Ribbon Charity Walk und das Motto «Zäme simer stercher» – was für ein toller Ansporn! Da musste ich unbedingt teilnehmen, komme, was wolle. Für den Run und den 9. Geburtstag meiner Tochter verlängerte ich um ein paar bedeutsame Tage sogar den Therapieunterbruch. Die Liebe zu meiner Familie, die grosse Unterstützung meines Umfeldes und die vielen netten Gesten der Anteilnahme halfen mir über weite Strecken. Ich war nie alleine, an die Chemos wurde ich von Freunden und Familie begleitet, während zu Hause die Oma kochte und die Kinder aus der Schule und dem Kindergarten empfing.
Wie hast du den Pink Ribbon Charity Walk erlebt?
Ich war überwältigt von so viel gelebter Solidarität. Während mein Mann und ich uns mit 5000 anderen Personen zu einer menschlichen Schleife formierten, unterstützten uns unsere Töchter als unsere grössten Fans. Die gemeinsame Schweigeminute zog dem fröhlichen Treiben kurzzeitig den Stecker. Emotional gerührt standen wir zwei gemeinsam da, vereint in einem Meer aus Menschen. Teil dieser Community zu sein, gibt mir Kraft. Für dieses wertvolles Engagement danke ich Pink Ribbon Schweiz herzlichst.
Was rätst du anderen Mamis, die gerade das Gleiche durchmachen?
Lass ohne schlechtes Gewissen möglichst viel Hilfe zu, sei gnädig mit dir und dem Erledigen von Haushaltsarbeiten. Staubmäuse beissen nicht. Besinne dich auf das Wesentliche, auf deine Bedürfnisse und die deiner Familie. Fokussiere auf das Positive – auf das, was geht, nicht auf das, was nicht geht. Trotz Chemo schaffte ich es sogar, mit den Kindern einmal Ski zu fahren. Mir half es, Tag für Tag zu nehmen und nicht zu fest in die Kristallkugel der Zukunft zu schauen. Das Eintauchen in die Natur und die Bewegung dienten mir als Psychohygiene. Da konnte ich meine Verzweiflung und Wut loslassen. Die Aufrechterhaltung des Alltags und seiner Routinen gab uns einen Rahmen und ein Stück Normalität. Ehrlich zu kommunizieren, wenn es mir nicht gut ging und warum, war ebenfalls wichtig. Mir persönlich half es zudem, meine Gedanken und die Geschehnisse niederzuschreiben. So konnte ich gleichzeitig verarbeiten und loslassen.
Wie geht es dir heute? Bist du noch immer in Behandlung?
Es geht mir besser. Seit Oktober 2023 arbeite ich wieder in reduziertem Kleinpensum. Auf der Onkologie bin ich zur Verlaufskontrolle Stammgast. Neben der Antihormontherapie (Tabletten und Spritze) schlucke ich täglich zwei Chemotabletten. So sollen potentiell übrig gebliebene Krebszellen am Wachstum gehemmt werden. Ich werde engmaschig kontrolliert. Täglich muss ich mit Beschwerden, Nebenwirkungen und einem reduzierten Energielevel umgehen. Das auszuhalten, ist nicht einfach. Meistens schaffe ich es, zuversichtlich zu sein – zumindest bis zum nächsten MRI im Juni, wenn Angst und Hoffnung wieder nahe beieinanderstehen werden. Meinem zukünftigen Ich möchte ich sagen können: Irgendwann schaust du dir deine Narben an und hörst sie nur noch leise von der Vergangenheit flüstern.
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