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Vorlesungen mit erfreulichen sozialen Nebenwirkungen

In der ganzen Schweiz haben Seniorenuniversitäten für Menschen ab 60 Jahren viel Zulauf. Besonders beliebt sind Gesundheitsthemen. Zu Besuch in den «Universitären Vorlesungen Winterthur».

Marlies Strech

Nein, man braucht keine Matura, um an den Vorträgen einer Seniorenuniversität teilzunehmen. Der etwas einschüchternde Name kommt daher, dass die Referate überwiegend von Uni-Professorinnen und -Professoren gehalten werden, meist in einem Hörsaal ihrer jeweiligen Universität. So in der Deutschschweiz in Bern, Basel, Luzern, St. Gallen und Zürich.

In Winterthur gibt es keine Universität. Die «Universitären Vorlesungen», wie sie hier genannt werden, finden in der Aula der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) statt, einem schönen Rundbau in der Nähe des Hauptbahnhofs. Die Fachhochschule ist aber nicht Organisatorin der Senior*innen-Ananlässe. Sie vermietet dem dafür zuständigen Verein lediglich am Mittwochnachmittag die Aula.

An einem Mittwoch im März steht ein Thema auf dem Programm, das leider für viele alternde Menschen aktuell wird. Professor Julius Popp von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich spricht über «Prävention, Diagnose und Behandlung von Demenz-Erkrankungen». Popp erklärt die verschiedenen Formen der Demenz. Die grösste Gruppe der Kranken leidet unter Alzheimer, gefährlichen Ablagerungen im Gehirn (60–65 Prozent). Die zweitgrösste unter vaskulärer Demenz mit Störungen der Blutversorgung (20–30 Prozent). Dann nennt der Professor Zahlen: Rund 155 000 Menschen sind in der Schweiz von Demenz betroffen, wobei längst nicht alle eine Diagnose erhalten. 465 000 Angehörige und weitere Betreuungspersonen befassen sich mit der Pflege der Kranken – und riskieren dabei, selber krank zu werden.

Die beiden ehrenamtlichen Organisatorinnen Rita Ammann (rechts) und Ursula Grimm-Hutter zusammen mit Prof. Julius Popp.
Die beiden ehrenamtlichen Organisatorinnen Rita Ammann (rechts) und Ursula Grimm-Hutter zusammen mit Prof. Julius Popp. Credit: zvg

Die Gefahr einer Demenz wächst mit zunehmendem Alter: Unter den 75- bis 84-Jährigen sind etwa 10 Prozent betroffen, ab dem 85. Lebensjahr steigt der Anteil auf fast 30 Prozent. «Man kann, aber man muss keine Demenz bekommen», beschwichtigt Popp. Immerhin ist man der Demenz heute nicht mehr ganz hilflos ausgeliefert. Neue Medikamente, viele noch im Versuchsstadium, können den Ablauf verzögern und Symptome mildern. Über Blutanalysen lässt sich ein Stück weit herausfinden, ob man besonders gefährdet ist. Nicht zu vergessen die Prävention: Empfohlen werden körperliche Aktivität, geistiges und soziales Engagement, weniger Stress, besserer Schlaf, gesundes Essen.

Kleine Kinder lügen gern

Ebenfalls im März hatte Professor Rainer Greifeneder, Sozialpsychologe an der Uni Basel, in Winterthur über die «Psychologie des Täuschens und Lügens» gesprochen. Er brachte den Zuhörenden das an sich ernste Thema mit viel Witz näher.

Ein gezeigter Kurzfilm liess wohl besonders die Herzen jener höher schlagen, die Enkelkinder haben. Man sieht ein Tischchen mit Spielsachen. Davor sitzen kleine Kinder, sie haben dem Tisch den Rücken zugekehrt. Eine Aufsichtsperson wird ans Telefon gerufen. Sie ermahnt die Kleinen, sich solange nicht umzudrehen. Eine versteckte Kamera fotografiert die Buben und Mädchen, auf deren Gesichtern zu sehen ist, wie sie zwischen Gehorsam und Neugier hin- und hergerissen sind.

«Mir ist nicht nur das Thema wichtig, sondern auch der Kontakt mit anderen Leuten.»

Nach kurzer Zeit drehen sich die meisten um. Die Aufsichtsperson kommt zurück und fragt die Kleinen, ob sie sich an das Umdrehverbot gehalten hätten. Die meisten Kinder, die drei Jahre und älter sind, schwindeln an dieser Stelle. Ein erst zweijähriges Mädchen dagegen gibt schüchtern zu, dass es nicht gehorcht hat.

Nach dem Film zählt Rainer Greifeneder weitere Fakten auf: Studien aus den USA zeigten, dass Männer und Frauen ungefähr gleich oft lügen. Im Durchschnitt zweimal täglich, wobei es grosse Unterschiede zwischen notorischen Lügenden und sehr ehrlichen Personen gibt. Lügen haben verschiedene Funktionen. Sie können zum eigenen Vorteil eingesetzt werden, aber auch zum Schutz anderer und im Interesse der Gemeinschaft.

Zwei Drittel Frauen

Die «Universitären Vorlesungen Winterthur» sind gut besucht. Bei Professor Greifeneders Vortrag hörten rund 200 Personen zu, beim Referat von Professor Popp noch mehr. Etwa zwei Drittel der Zuhörenden waren Frauen, ein Drittel Männer. Die Angebote lassen sich auch online verfolgen, wobei dann der soziale Teil des Anlasses entfällt. «Mir ist nicht nur das Thema wichtig, sondern auch der Kontakt mit anderen Leuten», betont eine Besucherin.

Universitäre Vorlesungen Winterthur

Teilnehmen können Frauen und Männer ab 60 Jahren – unabhängig von der Schulbildung. Jüngere Begleitpersonen sind willkommen. Personen mit Jahresabo geniessen ein besonderes Privileg: Die Seniorenuniversität Zürich gewährt ihnen Gratis-Zutritt zu den eigenen fünfzig Vorträgen im Irchel-Gebäude. Auch der umgekehrte Weg ist möglich. Das kann deshalb interessant sein, weil in Winterthur Referierende aus der ganzen Schweiz anreisen, während man in Zürich «nur» mit den eigenen Professorinnen und Professoren arbeitet.

Weitere Seniorenunis

Nähere Informationen über die Senioreniuniversitäten Basel, Bern, Luzern, Genf, Neuenburg, Tessin, Waadt und Zürich:

Gesundheitsthemen sind bei Seniorinnen und Senioren besonders beliebt. Aber auch anderes findet Interesse. So referierte Katja Rost, Professorin am Soziologischen Institut der Uni Zürich, kürzlich über «Die Beständigkeit der Gendernormen». Und im kommende Herbstsemester stehen Themen wie «Psychogramm des Tyrannen» oder «Lebenserwartung im Zoo» auf dem Programm.

Ein Jahresabo für die 25 Vorlesungen in Winterthur kostet 150 Franken, ein Einzeleintritt 20 Franken. Der Verein ist knapp bei Kasse, weil er nicht direkt einer Universität angeschlossen ist und keine staatlichen Subventionen bezieht. Mit den Einnahmen müssen die Referentinnen und Referenten bezahlt und die Saalmiete bestritten werden. Lediglich für die Druckkosten kommt die Zürcher Kantonalbank auf. Der Regionale Seniorinnen- und Senioren-Verband Winterthur (RSVW) stellt das Sekretariat.

Und die Organisation? Die Themenfindung, die Suche nach Referentinnen und Referenten, der Kontakt zum Publikum? Das besorgen zwei Frauen im Pensionsalter, Rita Ammann und Ursula Grimm-Hutter, beide ehemalige Berufsberaterinnen. Sie arbeiten ehrenamtlich, erhalten also kaum Entschädigung. Fühlen sie sich nicht ein wenig ausgebeutet? Beide winken ab. «Wir freuen uns halt einfach, wenn so viele Leute kommen und die Vorlesungen Anklang finden», sagt Ammann. Der Arbeitsaufwand betrage ungefähr einen Tag pro Woche. «Aber das Amt bringt viele interessante Kontakte und tolle Erfolgserlebnisse!»

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