Credit: Andreas Schwander
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Musse und Stille auf Europas Kanälen

Die Wunderwerke aus dem 17. Jahrhundert lassen staunen und geniessen.

Andreas Schwander

Die Stille ist am eindrücklichsten. Denn im dicht besiedelten Europa ist es fast nirgends wirklich still. In den meisten Hotels hört man nachts Autos und anderen Zivilisationslärm – und erst recht auf Campingplätzen. Doch wer auf Europas Wasserwegen unterwegs ist, erlebt sie immer wieder, die Faszination der Stille. Denn heute sind die Wasserwege eine fast vergessene Infrastruktur und finden sich trotzdem oft mitten in dicht besiedelten Gebieten.

Autobahnen auf dem Wasser

Die Wasserstrassen waren nicht immer so ruhig. Ab dem 17. Jahrhundert begannen Europas Königshäuser und private Unternehmer den Kontinent mit Kanälen zu erschliessen, allen voran die Briten und Niederländer, aber auch Frankreich und Belgien. Plötzlich glitten gigantische Lasten scheinbar schwerelos in Schleusen auf- und ab, kamen Wein in grossen Mengen und ganze Brückenbausätze mit durchnummerierten Steinen aus Frankreichs Südwesten nach Paris und Meersalz aus den Salinen von Aigues-Mortes in die Schweiz – lange bevor in der Waadt und bei Basel Salz gefunden wurde. Die europäischen Kanäle waren die Autobahnen der vorindustriellen Zeit; bis ihnen die Eisenbahnen buchstäblich das Wasser abgruben.

Heute hat allein Frankreich noch immer rund 3000 Kilometer schiffbare Wasserstrassen, in ganz Europa sind es 45 000 Kilometer. Aber ihre wirtschaftliche Bedeutung hat sich weitgehend vom Warentransport zum Tourismus verschoben. Bis in die 1960er-Jahre wurden tausende Kilometer Kanäle aufgegeben, zugeschüttet und in Strassen umgewandelt. Auch den Canal du Midi, der das Mittelmeer mit dem Atlantik verbindet und heute UNESCO-Weltkulturerbe ist, gäbe es wahrscheinlich nicht mehr. Doch ab den 60er-Jahren entdeckten ihn britische Bootsvermieter als Tourismus-Destination. 14 Jahre dauerte ab 1677 der Bau des Kanals. Unternehmer Pierre-Paul Riquet hatte dafür sein ganzes Vermögen aufgebraucht und hinterliess seinen Söhnen einen gigantischen Schuldenberg – aber auch die Rechte an einem Teil der Einnahmen. Erst die dritte Generation Riquet konnte die letzten Schulden abzahlen.

Kanäle als Jobmaschinen

Als der Canal du Midi schliesslich im Jahr 1681 eröffnet wurde, gab er zehntausenden Menschen Arbeit als Fuhrhalter, Postbeamten, Maurer, Steinmetze, Bootsbauer, Wasserbauingenieure und Schleusenwärter. Ein Kahn transportierte etwa so viel wie ein heutiger Sattelschlepper. Oft lebte auf dem Schiff die ganze Familie des Schiffers und in der Mitte des Decks gab es einen Unterstand für zwei Treidelpferde, wobei sich jeweils eines ausruhte und das andere das Schiff zog.

Die «Pénichettes» sind erstaunlich gross. Auch vielköpfige Familien oder Gruppen können auf Deck bequem und mit Stil dinieren.
Die «Pénichettes» sind erstaunlich gross. Auch vielköpfige Familien oder Gruppen können auf Deck bequem und mit Stil dinieren. Credit: Yvonne Schön

Mit der Zerstörung der Kanäle gingen nicht nur Verkehrswege verloren, sondern auch Lebensräume für Vögel, Fische, Reptilien und Wassersäuger. Denn die Kanäle sind selbst Biotope und bilden häufig die lebenswichtigen Verbindungen zwischen mehreren grösseren Feuchtgebieten. Der Tourismus hat damit nicht nur die historischen Verkehrswege gerettet, sondern auch die von ihnen gebildeten Lebensräume für Tiere und Pflanzen. So bilden heute viele Wasserstrassen in Europa einen schmalen Streifen Wildnis mitten in einer immer stärker zersiedelten Welt.

«Das Schiff reagiert genau gleich wie das Piratenschiff im Game ‘Sea of Thieves’»

Die Kanäle verbinden aber nicht nur Biotope, sondern auch die kleinen und grösseren regionalen Attraktionen. Der Canal du Rhône à Sète führt durch die Feuchtgebiete der Camargue, mit ihren Reihern, Falken und Flamingos und den halbwilden Pferden, vorbei an der Festung Aigues-Mortes und ins Bassin de Thau. Salinen zeigen, wie sie das weisse Gold gewinnen und Austernzüchterinnen und -züchter erklären den Gästen das empfindliche Ökosystem der Region. Sie lassen die Austern in immer grösseren Reusen, kegelförmigen Netzschläuchen, langsam wachsen und befestigen sie dann von Hand mit Zement an Seilen, die sie an langen Gestellen ins Bassin de Thau hängen. Aber auch Olivenmühlen, Delikatessenhandelnde und vor allem Winzerinnen und Winzer laden alle paar Kilometer zur Degustation, wohlwissend, dass sich auf den Schiffen sehr viele Weinkisten verstauen lassen.

Schwimmende Ferienwohnung

Auf dem Boot gibt es immer etwas zu sehen und zu tun. Herrscht vor der ersten Schleuse oder dem ersten Anlegemanöver noch Hektik und Durcheinander mit Seilen und Aufgaben, sind die meisten Crews nach zwei Tagen eingespielte Routiniers – auch ohne Bootsführerschein. Und plötzlich fährt der gamende Sohn schon beim ersten Mal am Steuer ein perfektes Anlegemanöver. Den staunenden Eltern verkündet er: «Das Schiff reagiert genau gleich wie das Piratenschiff im Game ‘Sea of Thieves’».

Credit: Stephanie Bräuer

Entlang der Kanäle spriesst mannigfaltiges Leben. Hier hat es Platz für farbenfrohe Bienenfresser, leuchtende Mohnfelder und fingerfertige Kunsthandwerker.

Zur Langsamkeit des Bootes passt ein anderes langsames Verkehrsmittel: Die meisten Bootsvermieterinnen und -vermieter vermieten auch Velos. Die für die Treidelpferde gebauten Pfade sind perfekt zum entspannten Radfahren oder um mal einen Einkauf für die Grossfamilie zu machen. Denn der schnucklige Eindruck der «Pénichettes» des Vermieters Locaboat trügt. Diese Hausboote sind den alten französischen Lastkähnen, den Pénichen, nachempfunden und erstaunlich gross. Die Boote der meisten Vermietenden sind mit 10 bis 15 Metern Länge und bis zu 4 Metern Breite fast so lang wie ein Gelenkbus und anderthalbmal so breit. Das lässt Platz für einen grossen Aufenthaltsraum, mehrere Kabinen mit separaten Toiletten und Duschen und eine geräumige Küche mit Gasherd und grossem Kühlschrank. Die Boote sind deshalb deutlich näher bei einer Ferienwohnung als bei einem Wohnmobil.

Destinationen in ganz Europa

Mittlerweile gibt es Bootsdestinationen für jeden Geschmack und jede Jahreszeit. Die günstigsten Angebote für Last Minute und für Fahrten ausserhalb der Saison beginnen um 1000 Franken pro Woche und die Schiffe bieten Platz für bis zu 12 Personen. In der Camargue lässt sich das Bootfahren mit wenig Schleusen und unmittelbar bei den langen Sandstränden des Mittelmeers ausprobieren. Im Canal du Midi gibt es mehr Schleusen, von denen jede einzelne, wie ein Landschaftspark aussieht. In Deutschland kann man auf der Müritz und in Brandenburg bei Berlin mitten auf dem See ankern und vom Boot aus ins Wasser springen, in der Niederlanden den Tulpen und Windmühlen nachfahren und in der Lagune von Venedig die weniger bekannten Inseln besuchen.

Viele Fahrgebiete beginnen nahe an der Schweiz. Das nächste ist der Rhein-Rhone-Kanal, der nur etwa 10 Kilometer nördlich von Basel erst nach Nordwesten und dann nach Südwesten verläuft, allerdings noch ohne nennenswerte Vermieter. Der schiffbare Scheitelpunkt zwischen Nordsee und Mittelmeer liegt nur 40 Kilometer westlich von Basel. Im Elsass rund um Strassburg gibt es hingegen mehrere Mietstationen. Die Anreise von Basel her ist sehr kurz und das Gebiet attraktiv, etwa mit dem Rohanschloss in Saverne oder dem Schiffshebewerk von Arzviller, einem Lift für Schiffe, der die 18 Schleusen im «Vallée des éclusiers», im Tal der der Schleusenwärter umgeht.

Ökologische Ferien

Und selbst ökologisch ist man mit den Booten relativ gut unterwegs. Auf vielen Kanälen machen die Mietboote 80 bis 90 Prozent des Verkehrs aus und der Unterhalt der Kanäle lohnt sich vor allem ihretwegen. Damit tragen sie auch zum Erhalt der natürlichen Lebensräume bei, durch die sie fahren. Zudem ist der Dieselverbrauch der Boote auch im Vergleich zu Ferien mit dem Auto relativ gering. Die meisten Häfen liegen in der Nähe von gut erreichbaren Bahnhöfen und mitten in den historischen Ortschaften, wenige Schritte von Restaurants und Läden entfernt. Denn die Seele geht bekanntlich zu Fuss. Dem Schiff folgt sie problemlos. Und geniesst die Stille.

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