In den Bereichen Informatik, Kommunikation, Erziehung und Unterricht herrscht Fachkräftemange. Dem Wunsch älterer Arbeitskräfte weiter­zuarbeiten, wird dort noch so gerne entsprochen.
In den Bereichen Informatik, Kommunikation, Erziehung und Unterricht herrscht Fachkräftemange. Dem Wunsch älterer Arbeitskräfte weiter­zuarbeiten, wird dort noch so gerne entsprochen. Credit: Adobe Stock, KI generiert
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Vom Glück, im Rentenalter weiterzuarbeiten

Immer mehr Menschen arbeiten nach 65 weiter und sind dabei zufriedener als jüngere Erwerbstätige. Das hat damit zu tun, dass die meisten, die weiterarbeiten, nicht müssen, sondern wollen. Auch Unternehmen freuen sich über die motivierten Senior*innen.

Andreas Minder

Der Anteil der 65- bis 74-Jährigen, die in der Arbeitswelt tätig sind, steigt seit Jahren. 2018 erreichte die Quote 20 Prozent. Anschliessend sank sie – wohl auch coronabedingt – vorübergehend etwas ab, bevor sie in diesem Jahr wieder anzog. Jonathan Bennett, Co-Leiter des Instituts Alter der Berner Fachhochschule, vermutet, dass sich der Aufwärtstrend fortsetzen wird: «Es spricht alles dafür.»

Ein wichtiger Grund: Es fehlt an Arbeitskräften. Das hat mit einem rund laufenden Wirtschaftsmotor zu tun, aber auch mit Demografie. Die geburtenstarke Babyboomer-Generation erreicht das Pensionsalter, entsprechend viele Stellen müssen neu besetzt werden. Umso besser, wenn die Älteren etwas länger bleiben.

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Dass sie es tatsächlich tun, liegt daran, dass sie es können und wollen. «Heute sind viele ältere Menschen gesund und allgemein aktiver als früher», sagt Bennett. «Da ist es logisch, dass der Bereich der Erwerbstätigkeit davon auch erfasst wird.» Das stetig steigende Bildungsniveau verstärke den Effekt. Denn mit der Bildung nehme auch die Arbeitsorientierung zu. «Im Leben älterer Menschen hat die Arbeit einen zunehmend hohen Stellenwert.»

Viele in Leitungsfunktion

Unter den arbeitenden Rentner*innen findet sich ein überproportional grosser Anteil an Personen in Leitungsfunktionen und solchen, die als selbständige Berater, Planerinnen oder Ingenieure tätig sind, sagt Tobias Fritschi, Leiter des Instituts Soziale Sicherheit und Sozialpolitik der Berner Fachhochschule. In der Erwerbsbevölkerung bis 65 zähle man gut 12 Prozent Selbständige, bei jenen über 65 machten sie fast die Hälfte aus.

«Wenn man etwas möchte von den älteren Mitarbeitenden, muss man auch bereit sein, in sie zu investieren.»

Ein Berufsfeld, in dem zahlreiche Arbeitskräfte im Pensionsalter beschäftigt sind, ist das Gesundheits- und Sozialwesen. Ein beträchtlicher Anteil von ihnen sind Frauen. Fritschi vermutet, dass einige von ihnen nach einer Familienphase wieder eingestiegen und deshalb noch motiviert sind weiterzuarbeiten. Schliesslich gibt es auch in den Bereichen Information, Kommunikation, Erziehung und Unterricht überdurchschnittlich viele über 65-Jährige. «In all diesen Berufsfeldern herrscht Fachkräftemangel», sagt Fritschi. Was bedeutet, dass die Unternehmen dem Wunsch der älteren Arbeitskräfte weiterzuarbeiten, noch so gern entgegenkommen.

Zwei Drittel Männer

Was auffällt: Im Ü-65-Arbeitskräftepool findet sich bloss ein Drittel Frauen. Für Fritschi ist klar, was dahintersteckt: «Da manifestieren sich die kumulierten Ungleichheiten, die Frauen im Erwerbsleben erfahren.» Es beginnt bei der Kinderbetreuung. Sie wird mehrheitlich von Frauen geleistet – weil die Männer sich zurückhalten und die ausserfamiliäre Betreuung das nicht kompensieren kann. Das bedeutet, dass Frauen mehr Teilzeit oder vorübergehend gar nicht arbeiten.

Jonathan Bennett, Co-Leiter des Instituts Alter
Jonathan Bennett, Co-Leiter des Instituts Alter
Tobias Fritschi, Leiter des Instituts Soziale Sicherheit und Sozialpolitik der Berner Fachhochschule
Tobias Fritschi, Leiter des Instituts Soziale Sicherheit und Sozialpolitik der Berner Fachhochschule

Beides ist schlecht für die Karriere: Frauen landen seltener auf der Teppichetage. Sie kommen also nicht an jene Stellen, deren Inhaber*innen nach 65 der Arbeitswelt besonders oft die Treue halten. Ausserdem: Wenn es Eltern oder Schwiegereltern zu pflegen gibt, übernehmen das ebenfalls meist Frauen. Eine hohe Belastung, die es erschwert, daneben noch einem Job nachzugehen.

Eine Branche, die in der Gruppe der älteren Arbeitskräfte unterrepräsentiert ist, ist das Baugewerbe. Ein Grund dafür ist wohl, dass es auf dem Bau Berufe gibt, die den Körper verschleissen. Es ist kein Zufall, dass diese Branche seit 2003 den flexiblen Altersrücktritt ab 60 Jahren ermöglicht. «Leute, die körperlich belastenden Tätigkeiten nachgehen, arbeiten nicht in grösserem Mass weiter», sagt Fritschi. Das hat primär mit ihrer Gesundheit zu tun, aber nicht nur.

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Im Rahmen des Projekts «Barometer Gute Arbeit» werden seit einigen Jahren die Arbeitsbedingungen in der Schweiz untersucht. Letztes Jahr ha die repräsentative Umfrage bei rund 1500 Personen im Alter von 16 bis 64 Jahren ergeben, dass nichts die Arbeitszufriedenheit stärker beeinträchtige als körperlich anstrengende Tätigkeiten, sagt Fritschi, der den Bericht mitverfasst hat.

Von Bedeutung ist auch das Arbeitsklima. Das zeigen die Resultate des Forschungsprojekts «Mozart» (Modelle für den zukünftigen Arbeitsmarkt 45+), für das Bennett mitverantwortlich war. Darin wurden Arbeitnehmende ab 45 gefragt, ob sie nach der Pensionierung weiterarbeiten möchten. Die psychische Befindlichkeit kristallisierte sich als wichtiger Faktor heraus.

Charta Arbeitsmarkt 45+

Ein Ergebnis des Forschungsprojekts «Mozart» ist die Charta Arbeitsmarkt 45+. Sie formuliert Empfehlungen, wie Unternehmen erfahrene Mitarbeitende länger halten können. Die Leitsätze wurden gemeinsam von der Berner Fachhochschule, Fachstellen der Bundesverwaltung und Vertreter*innen von Grossunternehmen und KMU erarbeitet. Die zentralen Forderungen sind:

Die Politik flexibilisiert das Rentenalter und das Altersvorsorgesystem und schafft Anreize zur Weiterbeschäftigung von älteren Arbeitnehmenden.

Unternehmen schaffen Arbeitsbedingungen, die auf die Bedürfnisse der einzelnen Arbeitnehmenden zugeschnitten sind die die Vereinbarkeit von beruflichen und ausserberuflichen Anliegen ermöglichen die zur psychischen und physischen Gesundheit ihrer Mitarbeitenden beitragen Unternehmen fördern und fordern die Teilnahme ihrer Mitarbeitenden an Weiterbildungsangeboten.

Wer sich gut fühlt, zeigt mehr Interesse, in der Arbeitswelt zu bleiben. Ebenfalls wichtig: die Weiterbildungspolitik des Unternehmens. Personen, die kürzlich eine Weiterbildung gemacht hatten, konnten es sich eher vorstellen, nach der Pensionierung zu arbeiten. Nicht erstaunlich, findet Bennett. Wenn eine Firma ältere Mitarbeitende nicht mehr in Weiterbildungen schicke, zeuge das nicht von Wertschätzung. «Wenn man etwas möchte von den älteren Mitarbeitenden, muss man auch bereit sein, in sie zu investieren.» Sonst werde die Erwerbsarbeit gegenüber anderen Aktivitäten im Rentenalter den Kürzeren ziehen.

Gesund und motiviert

Wer nicht weiterarbeiten will oder kann, verlässt spätestens mit der Pensionierung den Arbeitsmarkt. Und weil die Schweiz ein wohlhabendes Land ist, ist die Zahl derjenigen, die aus finanziellen Gründen weitermachen müssen, nicht allzu gross. Zudem dürften unter ihnen einige sein, deren Gesundheit das Weiterarbeiten verunmöglicht. Übrig bleiben die Gesunden und Motivierten, die ihren Job gerne machen. Das zeigt sich in der Arbeitszufriedenheit.

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«Sie ist bei den Erwerbspersonen im Pensionsalter deutlich höher als bei den Jüngeren», sagt Fritschi. Vergleichbar sind die Zufriedenheitswerte mit jenen von Selbständigen und Führungs­personen – von denen es in der Ü-65-Gruppe viele gibt. Fritschi geht davon aus, dass der grosse Gestaltungsspielraum in diesen beruflichen Funktionen zum Glück beiträgt – und die Tatsache, dass vier von fünf erwerbstätigen Pensionierten Teilzeit arbeiten, also die Belastung reduzieren.

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