«Das Münster war schon lange ein Stern an meinem Himmel»
Daniela Wäfler ist die höchste Frau von Bern: Als Münster-Turmwartin sieht sie die Welt von oben. Auch sonst zieht es sie in die Höhe: Daniela Wäfler leitet Wandertouren in den Bergen.
Text: Karin Meier
An Abenteuerlust mangelt es Daniela Wäfler nicht. Sie hat als Pflegefachfrau in einem Spital in Madagaskar gearbeitet, die nationale Palliative-Care-Strategie des Bundesamts für Gesundheit (BAG) geleitet, mehrere Berufswechsel vorgenommen und ihr Hobby Wandern zum Zweitberuf gemacht. Da passt es, dass ihr die Aare auch im Januar nicht zu kalt zum Schwimmen ist. Die Erfrischung im Wasser sei für sie ein Stück Lebensqualität.
Meist jedoch ist Wäfler im Berner Münster anzutreffen, dessen Turmwartin und stellvertretende Betriebsleiterin sie ist. Ein grosser Teil der Arbeit entfällt auf die Koordination, Organisation und Planung von Anlässen: Im Münsterturm können Räume gemietet, Führungen gebucht und Apéros abgehalten werden – zuweilen sind mehrere Gruppen gleichzeitig dort. Mit ihrem kleinen Team sorgt Wäfler dafür, dass sich die Gäste wohlfühlen. Das bedeutet Mitanpacken und Aufräumen und dies oft bis spätabends. Tagsüber beantwortet sie auch die Fragen von Touristinnen und Touristen, die auf den Turm steigen, und sorgt für deren Sicherheit. Zu Wäflers Aufgaben gehört weiter die Einsatzplanung, damit der Betrieb während der 7-Tage-Woche reibungslos funktioniert. Als Stellvertreterin des Betriebsleiters ist sie ebenfalls unten im Münster gefragt, wo von Gottesdiensten bis zu Konzerten immer etwas läuft.
Frau für alle Fälle
Für diese Aufgaben benötigt Daniela Wäfler ganz unterschiedliche Fähigkeiten: Sie muss gut mit Menschen aller Art umgehen sowie flexibel und lösungsorientiert auf Unvorhergesehenes reagieren können. Unabdingbar sind Grundkenntnisse in technischen Belangen, da es vom Läutautomaten über die Heizung bis zum Feueralarm zahlreiche Geräte zu bedienen gilt. Fremdsprachenkenntnisse können täglich angewandt werden, denn von den jährlich bis zu 80 000 Personen, die auf den Turm steigen, sprechen viele kein Deutsch. Wichtig sind zudem eine gute Fitness und Schwindelfreiheit, denn der Weg auf den Turm führt über 344 Stufen und bietet einige Tiefblicke.
4 JAHRESZEITEN – 4 FRAGEN
Was liebe ich am Frühling? Die Explosion der Farben, die Vögel, die am Morgen zwitschern, die kalten Bergseen, in denen ich wieder baden kann und ganz generell, dass die Tage wieder länger werden.
Wie lässt sich mein derzeitiger Lieblingsplatz in Bern beschreiben? Dies ist der Weg zur Aare den Altenberghang hinunter. Ich begehe ihn fast täglich und geniesse die Reichhaltigkeit der Natur entlang des Weges: die Bienen, die Pflanzen, die Gärten und die Aussicht auf die Alpen. Ich bin dort fast allein unterwegs und geniesse diese Stille inmitten der Stadt.
Was landet im Frühling häufig auf meinem Teller? Ich liebe Spargeln in allen Varianten und Farben. Dasselbe gilt für Bärlauch, den ich im Salat geniesse, aber auch als Pesto zu Teigwaren oder bereits verarbeitet, zum Beispiel als Bärlauch-Pasta oder Bärlauch-Brot. Meine Lieblingsfrühlingsgemüse sind die drei K: Kohlrabi, Kopfsalat und Kresse.
Welchen Duft verbinde ich mit dem Frühling? Die Wäsche, die nach Frühlingssonne riecht und den Duft von Bärlauch. Zum Frühling gehören für mich auch die «ersten» Düfte: Die Menschen verbringen wieder mehr Zeit draussen, und so treffe ich auf den ersten Kaffeeduft im Freien, das erste Grillierte oder das erste geschnittene Gras. Im Frühling beginnt die Welt wieder zu duften.
Wäfler gefällt die Vielseitigkeit ihrer Arbeit: «Jeder Tag ist anders und bringt andere Begegnungen: Zu mir kommen ausländische Touristinnen und Touristen, Führungskräfte, Feuerwehrleute, Schulklassen und Familien. Daneben stehe ich mit Vertreterinnen und Vertretern der Stadtregierung sowie Mitarbeitenden von Museen und von Bern Tourismus in Kontakt. Dank dieser bunten Mischung ergeben sich Gespräche auf unterschiedlichsten Ebenen.» Ein weiterer Höhepunkt sei es, während der Arbeit die hochwertigsten Konzerte erleben zu dürfen. Mit dieser Stelle sei denn auch ein langgehegter Traum von ihr in Erfüllung gegangen: «Das Münster war schon lange ein Stern an meinem Himmel. Es hat mich schon als Kind fasziniert, und als Erwachsene besuche ich seit langer Zeit Anlässe hier. Der Sakralraum hat eine ausgeprägte Wirkung auf mich», sagt Daniela Wäfler. Nichtsdestotrotz ist sie froh, nicht – wie einige ihrer Vorgängerinnen und Vorgänger – im Turm zu wohnen, sondern sich nach der Arbeit in ihr Privatleben zurückziehen zu können. À propos Vorgängerin: Daniela Wäfler ist nicht die einzige Münster-Turmwartin in ihrer Familie: Bereits eine Cousine ihres Grossvaters hatte dieses Amt einst inne.
Als Wanderleiterin kann ich Menschen Erfahrungen ermöglichen, die sie ohne Begleitung nicht machen könnten.
Wegbereiterin für einmalige Erfahrungen
Begonnen hat Daniela Wäflers Berufsweg mit einer Ausbildung als Pflegefachfrau. Später studierte sie berufsbegleitend Sozialer Arbeit und arbeitete u.a. als kirchliche Sozialarbeiterin bei der Kirchgemeinde Johannes im Berner Breitenrainquartier. Parallel zur Tätigkeit als Sozialarbeiterin baute sie sich ein zweites Standbein auf: Als sie vor rund 15 Jahren in eine Lebenskrise geriet, riet ihr Vater ihr zu einer Ausbildung als Wanderleiterin. Wäfler, die in Adelboden aufgewachsen und schon als Kind viel in den Bergen unterwegs war, befolgte seinen Rat. «Die Ausbildung zur Wanderleiterin war etwas vom Besten, was ich in meinem Leben gemacht habe», sagt sie. In einem Teilzeitpensum führt sie seither einheimische und ausländische Touristinnen und Touristen in die Berge von Adelboden. «Als Wanderleiterin kann ich Menschen Erfahrungen ermöglichen, die sie ohne Begleitung nicht machen könnten. Ihre Freude und Dankbarkeit mitzuerleben, ist unglaublich befriedigend», erzählt Wäfler. Mehrmals im Jahr leitet sie für ein Reiseunternehmen zudem Wanderreisen nach Island, die Lofoten und ins Piemont. Dabei ist sie Wanderleiterin, Bus-Chauffeuse und Köchin in einem. Auch auf diesen Reisen sieht sie sich als Wegbegleiterin und Wegbereiterin für Erfahrungen, die Individualreisende so nicht machen könnten.
«Ich bin angekommen»
Zwei berufliche Standbeine zu haben, die es auszubalancieren und mit dem Privatleben in Einklang zu bringen gilt, sei herausfordernd, sagt Wäfler. Sie möchte es aber nicht anders haben: «Ich brauche beides: die Betriebsamkeit im Münster und die Weite in Island. Meine beiden Berufe ermöglichen mir einen Weltenwechsel, den ich nicht missen möchte.» Dies gelte umso mehr, weil sie in der Stadt und auf dem Land zuhause sei. Zudem ermöglichen es ihr die beiden Standbeine, ihre bisherigen Ausbildungen und Erfahrungen zusammenzubringen. «Mein Rucksack findet in meinen beiden Stellen eine Art Vollendung. Mein Wissen fügt sich immer mehr zu einem abgerundeten Gesamtpaket zusammen. Ich bin angekommen.»
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