Dancing Queen statt Donauwalzer
Tanzen, bis der Abend kommt: Einmal im Monat findet im Bieler Duo Club am Sonntagnachmittag die Ü60-Disco statt. Der Event von Pro Senectute Biel ist ein voller Erfolg.
Sarah Forrer
Es ist früher Nachmittag Anfang Februar an der Zentralstrasse in Biel. Vor dem Duo Club, wo sonst sonntägliche Ruhe und gähnende Leere herrscht, ist für einmal lautes Lachen zu hören. Aufregung und Vorfreude liegen in der Luft. Eine lange Schlange bildet sich vor dem Ausgehlokal. Einige der Anstehenden haben rote Röhrenjeans oder Glitzeroberteile an. Andere halten sich etwas unsicher an ihrem Partner fest. Eine ältere Frau kommt im Rollstuhl. Eines haben sie gemein: Sie wollen Disco-Feeling. Sie wollen gute Musik. Und wenn es körperlich noch geht, wollen sie tanzen. Tanzen, wie früher in ihrer Jugend. Zu Abba, Rolling Stones und Johnny Halliday. Deshalb strömen sie zur ersten Ü60-Disco «Move like a Rolling Stone» in der Schweiz.
Pascale Wettenschwiler mag sich noch gut an den besagten Sonntag erinnern. Sie war überwältigt vom Andrang. «Wir wussten überhaupt nicht, wie das Angebot ankommt. Genauso gut hätten nur eine Handvoll Leute kommen können», erinnert sie sich. Die Bielerin arbeitet seit zehn Jahren als Teamleiterin Bildung und Sport bei Pro Senectute Biel. Zusammen mit Sascha D’Antonio vom Duo Club hat sie die Disconachmittage ins Leben gerufen.
Vorbild Berlin
«Die Idee kam mir bereits vor der Coronazeit», sagt Wettenschwiler. Zwar bietet Pro Senectute Tanznachmittage in Räumen von Kirchgemeindehäusern, Hotels oder Restaurants an. Dort treffen sich Tanzfreudige zum Walzer, Salsa oder Foxtrott. «Doch für die Babyboomer, welche in der Disco gross geworden sind, oft alleine leben und niemanden zum Tanzen haben, hatten wir kein passendes Angebot.»
Auch im Internet fand sie nichts dergleichen. Einzig in Berlin stiess sie auf Disconachmittage für Seniorinnen und Senioren. «Das holen wir nach Biel!», dachte sich Wettenschwiler. Auf der Suche nach der richtigen Location wurde sie rasch fündig: im Duo Club. «Das ist so ein richtiges Ausgangslokal. Mit Discokugeln, drei Bars, beleuchtetem Tanzboden und ohne Tageslicht. Auch nachmittags hat man drinnen ein Gefühl von Nacht», sagt Wettenschwiler. Zudem sei es mitten im Zentrum und gut erreichbar.
Von Zurückhaltung keine Spur
Sie suchte das Gespräch mit dem Besitzer. Sascha D’Antonio war sofort Feuer und Flamme. Damit sich auch die älteren Semester wohl fühlen, werden die Schwellen und hohen Tritte mit leuchtendem Klebeband markiert. Zudem werden zusätzliche Stühle und Barhocker hingestellt. An der Bar stehen nebst den üblichen Getränken wie Champagner, Gin oder Bier auch eine Kaffeemaschine und ein Wasserkocher für Tee.
«Für die Babyboomer, welche in der Disco gross geworden sind, oft alleine leben und niemanden zum Tanzen haben, hatten wir kein passendes Angebot.»
Rund 150 bis 200 Leute finden jeweils den Weg in den Club. Aus der gesamten Schweiz strömen sie nach Biel. Manche kommen einmalig. Andere sind Stammgäste geworden und haben unterdessen Kontakte geknüpft. Auch neue Liebschaften haben sich gebildet.
Bisher war Pascale Wettenschwiler als Organisatorin an jeder der zwölf Disconachmittage mit dabei. Sie hat die Freiwilligen an Ort betreut, Fragen beantwortet, Gespräche mit Gästen geführt, Rückmeldungen und Wünsche entgegengenommen und auf das weitere Angebot von Pro Senectute aufmerksam gemacht. Die Stimmung erlebt sie als unglaublich euphorisch: «Da geht die Post ab auf der Tanzfläche.» Von Zurückhaltung keine Spur. Die DJs spielen dafür auch immer wieder Wunschlieder. Ganz oben stehen «Dancing Queen» von Abba, «Svalutation» von Adriano Celentano, ebenso Stücke von Deep Purple oder AC/DC sind hoch im Kurs. Auch französische Ohrwürmer heizen den Besuchenden ein.
Nachahmer in der ganzen Schweiz
Der Erfolg der Ü60-Disco bleibt nicht unbemerkt. Medien haben über den Event berichtet. Und immer wieder haben sich Pro-Senectute-Organisationen aus anderen Kantonen bei Wettenschwiler gemeldet, weil sie einen ähnlichen Anlass in der Region lancieren wollen. «Ich helfe gerne weiter. Mittlerweile habe ich einen gewissen Erfahrungsschatz.» Das Wichtigste findet Wettenschwiler die Location: Sie muss das Gefühl von Disco rüberbringen. Dies ist mit ein Grund, weshalb die Umsetzung des Formats in anderen Städten nicht ganz einfach ist.
Geschafft haben es Chur, Freiburg, Aarau und Lyss: Da sind ähnliche Events mit Erfolg angelaufen. In Chur waren 125 Menschen an der Premiere im Home of Dance. Auch in der Kulturfabrik in Lyss tummelten sich viele auf der Tanzfläche. Wettenschwiler freut es: «Die Party scheint den Nerv der Zeit getroffen zu haben!»
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