Der Weichkäse Soft White nach Camembert-Art  war das erste Produkt von New Roots und eroberte den Biomarkt im Nu. Kreiert wird die Käse-Alternative aus Cashewnüssen. Heute stellt die Molkerei zudem veganes Fondue, Raclette, Grillkäse und Joghurt­alternativen her.
Der Weichkäse Soft White nach Camembert-Art war das erste Produkt von New Roots und eroberte den Biomarkt im Nu. Kreiert wird die Käse-Alternative aus Cashewnüssen. Heute stellt die Molkerei zudem veganes Fondue, Raclette, Grillkäse und Joghurt­alternativen her. Credit: Lou Stucki
Sommer

Alles kein Käse

La Cotta, Soft White, La Fondue Vegan: Was nach Käse klingt, wird in der veganen Molkerei New Roots in Oberdiessbach auf pflanzlicher Basis hergestellt. Hinter der Firma steckt ein visionäres Paar, das mit seiner Community die Gesellschaft von morgen mitgestalten will.

Text: Monika Bachmann

Freddy Hunziker springt die Treppe hinauf. Es ist morgens um acht Uhr. An der Burgdorfstrasse 36 in Oberdiessbach läuft die Produktion auf Hochtouren. Hier befindet sich New Roots, die vegane Molkerei im Emmental. Freddy Hunziker ist deren Mitgründer und Mitinhaber. Der 31-Jährige bewegt sich in hohem Tempo, was womöglich auf seine ehemalige Karriere als Profi-Biker zurückzuführen ist – vielleicht aber auch auf seine Einstellung. «Wenn ich etwas anpacke, mache ich es entweder ganz oder gar nicht», sagt er im Weitergehen. Den Tatbeweis liefert er mit seiner Firma gleich selbst: Aus einer Idee entwickelt sich ein Start-up, das über sich hinauswächst. Eine kreative Küche in einem Bauernhaus wird gegen ein 4000 Quadratmeter grosses Industrieareal ausgetauscht. Aus zwei innovativen Köpfen wird ein Team von 35 Mitarbeitenden. Zu einem Weichkäse nach Camembert-Art kommen 27 weitere vegane Molkereiprodukte. Ein Marktstand in Thun wandelt sich zu einem Lieferanten für den Schweizer Grosshandel und kommt auf dem europäischen Markt an. Und das alles in neun Jahre.

Wir bieten Produkte mit einer Botschaft: Tiere sind keine Ressourcen für Menschen.

Liebe und Leidenschaft

Im Jahr 2012 trifft der gelernte Polymechaniker Freddy Hunziker in Südfrankreich auf Alice Fauconnet, eine Französin, die in Paris Sozialanthropologie studiert hat. Die beiden kommen sich näher – und entdecken dabei ihre gemeinsame Leidenschaft für Käse. Als sie sich kennenlernen, ernähren sich die beiden vegetarisch. 2014 erleidet Freddy Hunziker einen Sportunfall, eine einschneidende Operation steht an. Während dieser Zeit rotiert es in seinem Kopf, denn für ihn zählt nur eines: «Möglichst rasch zurück in den Kraftraum und aufs Bike.» Damit sein Körper schnell regenerieren kann, beschäftigt er sich mit der Ernährung und stellt fest, dass er sein Ziel eher erreichen kann, wenn er auf Milchprodukte und gesättigte Fettsäuren verzichtet. Diese Erkenntnis passt perfekt zu den Idealen des jungen Paares, denn für sie ist der Veganismus ein Weg, um Gerechtigkeit für alle zu erreichen, auch für Tiere. «Unsere ethische Grundhaltung ist definitiv etwas, das uns vereint», so die 35-jährige Alice Fauconnet.

Die Käseliebhabenden zögern nicht lange und beginnen, in ihrer Küche an einem veganen Produkt zu tüfteln. Sie experimentieren mit Nüssen und Pflanzenmilch und lassen das Ergebnis im eigenen Keller heranreifen. Als sie feststellen, dass viele Menschen um sie herum ebenso das Bedürfnis haben, eine Alternative zu einem tierischen Produkt zu finden, legen sie richtig los. Es gelingt ihnen, einen Weichkäse nach Camembert-Art aus Cashewnüssen zu kreieren, der den Biomarkt auf Anhieb erobert.

Credit: zvg

Cashewnüsse und Lupinensamen

Aus dem damaligen Kleinbetrieb ist ein Unternehmen geworden, dessen Produktepalette immer breiter wird. Zum Weichkäse, den Freddy Hunziker als «Klassiker» bezeichnet, sind weitere Topseller hinzugekommen, etwa die veganen Alternativen zu Fondue, Raclette, Frischkäse und Joghurt. Zur Herstellung verwendet man Cashewnüsse aus fairem Handel, die aus Burkina Faso und Vietnam stammen, sowie einheimische Lupinensamen (s. Box). Dazu werden derzeit Partnerschaften mit Landwirtschaftsbetrieben in der Schweiz und Deutschland aufgebaut.

Alle Rezepturen entstammen der betriebseigenen Abteilung für Forschung und Entwicklung. «Sie ist unser Herzstück», betont Freddy Hunziker, nachdem er kurz im Labor reingeschaut und sich mit dem Chemiker ausgetauscht hat. Das Wissen über molekulare und mikrobiologische Prozesse hat sich der Mitgründer direkt ins Haus geholt. Unter den Mitarbeitenden sind Milchtechnologen und Käserinnen, die ihr Know-how der Produktion von tierischen Alternativen zur Verfügung stellen wollen. Auch Chrigu, ein pensionierter Käsermeister, gehört dazu. «Er begleitet uns seit Jahren und steckt seine Expertise in die Entwicklung unserer Produkte», so Freddy Hunziker.

Gastronomie und Gäste

Im Betrieb arbeiten nebst Spezialistinnen und Spezialisten auch Leute, die multifunktional unterwegs sind, also verschiedene Tätigkeiten ausüben. Man wolle agil bleiben und sich stetig weiterentwickeln, so die Begründung. Wichtiger als die geprüften Kompetenzen sei die Einstellung, bekräftig Freddy Hunziker. Wer bei New Roots arbeitet, soll Zusammenhänge verstehen lernen und die Vision der Firma teilen. «Wir bieten Produkte mit einer Botschaft: Tiere sind keine Ressourcen für Menschen», fasst es Alice Fauconnet zusammen. Die Nachhaltigkeit macht auch bei der Produktionsanlage nicht halt. Die Firma verbrennt keine fossilen Brennstoffe, sondern funktioniert mit Wasserkraft.

An der Burgdorfstrasse 36 befindet sich nicht nur ein Unternehmen, sondern auch eine Community. Der Eingangsbereich gleicht einer Lounge, hier trifft man sich zum Austausch. Die Glaswände stehen für Transparenz, die bei New Roots auch für die Löhne gilt. Das gemeinsame Mittagessen wird von einer Teilzeit-Köchin zubereitet, die der Belegschaft vegane Köstlichkeiten auftischt. Auch externe Gäste nutzen das gastronomische Angebot. Es werden häufig Events für Firmen oder Gruppen durchgeführt, die den Teilnehmenden die vegane Küche näherbringen.

Produkte und ihre Generation

New Roots teilt die Produkte in drei Generationen auf: Die erste basiert auf Cashewnüssen, die zweite auf lokalen Rohstoffen aus der Schweiz oder dem benachbarten Ausland. Derzeit arbeitet man in Oberdiessbach an der dritten Generation. Es soll eine Milchalternative entstehen, die ausschliesslich auf Schweizer Rohstoffen wie Lupinensamen, Kürbiskernen und Hanfsamen aufbaut. Langfristig besteht das Ziel, dieses Produkt an Käsereien zu liefern, sodass diese selbst vegane Molkereiprodukte herstellen können.

Post von der Milchlobby

Die Innovationen haben sich gelohnt. New Roots hat in den letzten Jahren drei Preise gewonnen, darunter den Swiss Economic Award. «Wir wollen weiter wachsen, um pflanzliche Lebensmittel möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen», betont Alice Fauconnet. Ein erneuter Ausbau der Produktionsanlage steht an. Gut möglich, dass schon bald eine weitere vegane Alternative aus Oberdiessbach in den Regalen steht. Allerdings freuen sich nicht alle über die erfolgreiche Geschäftsstrategie. Regelmässig flattern Briefe der Schweizer Milchlobby ins Haus. «Wir dürfen bestimmte Begriffe wie Käse oder Joghurt nicht verwenden», erklärt Freddy Hunziker. Bei der Bezeichnung der Produkte sei deshalb Kreativität gefragt, sagt er – und lächelt. Für seine Community scheint dies ein Leichtes zu sein.

Themenspezifische Specials

Mit themenspezifischen Specials, welche als zusätzlicher Zeitungsbund erscheinen, bieten die Verlagsbeilagen von Tamedia ihren Leserinnen und Lesern regelmässig einen attraktiven Mehrwert. Die ganze Beilage «Sommer» als PDF herunterladen: