Von Wolle umgarnt
Wie aus Schafwolle ein Duvet entsteht, lässt sich auf dem «Weg der Wolle» in der Schaukarderei Huttwil erkunden. Hier trifft man auf junge Tiere und alte Maschinen – und lernt ein traditionelles Handwerk kennen.
Monika Bachmann
Am Rand des Emmentals, genau genommen zwischen Huttwil und Schwarzenbach, liegt «Untere Bäch». Der idyllisch gelegene Bauernhof hat sich im Lauf der Zeit zu einer Farm entwickelt, die Menschen aus der ganzen Schweiz anzieht. Hier begegnet man nicht nur Schafen, Ziegen oder Lamas, sondern kann auch in die Welt ihrer Felle eintauchen. Amos Grädel bezeichnet den Ort als «Wollparadies». Er führt die Spycher-Handwerk AG, so der offizielle Name der Firma, zusammen mit seinen drei Geschwistern in zweiter Generation.
Der Betrieb hat sich in 40 Jahren von einer kleinen Wollverarbeitungs-Werkstatt in ein Unternehmen mit 40 Mitarbeitenden entwickelt. Pro Jahr werden auf dem Hof rund 60 Tonnen Wolle verarbeitet. «Nur ein kleiner Teil stammt von unseren eigenen 150 Schafen, 99 Prozent werden von Schweizer Schafhaltern angeliefert», so Grädel. Im grossflächigen Verkaufsladen findet man die ganze Bandbreite an Wollprodukten – vom Schaffell bis zur Outdoorjacke, vom Filzfinken bis zur Cashmere-Bodylotion.
Die Schafschur
Ein Publikumsmagnet ist die Schaukarderei. Wer wissen möchte, wie aus der Wolle von Schafen, Kaschmirziegen, Lamas und Alpakas Textilien entstehen, kann auf dem «Weg der Wolle» die Produktion in einzelnen Schritten verfolgen – entweder auf eigene Faust oder im Rahmen einer Führung.
«Die Nachfrage nach Wolle ist zur Zeit gross. Es ist ein nachhaltiges Produkt, das im Trend liegt.»
Die grünen Wiesen rund um den Hof deuten auf den Ursprung des Rohstoffs hin. Hier weiden die Schafe, und somit beginnt der Prozess der Wollverarbeitung genau dort: Einmal im Jahr findet auf «Untere Bäch» die Schafschur statt, eine öffentliche Veranstaltung, die jeweils mehrere Tausend Leute anziehe, wie Amos Grädel berichtet. Der optimale Zeitpunkt dafür ist Oktober, da die Wolle der Schafe dann besonders dicht ist. Nach der Schur wird die Wolle klassifiziert und sortiert, im Anschluss muss das Material gründlich gereinigt werden, was in der hauseigenen Hofwäscherei veranschaulicht wird.
Wolle: natürlich gesund
Es gibt unterschiedliche Arten von Wolle. Je nachdem, von welchem Tier sie stammt, entsteht daraus beispielsweise Merinowolle, Lambswool, Mohair oder Kaschmir. Der Rohstoff wird vielseitig genutzt, etwa für Kleider, Teppiche, Decken oder als Filz. Das Material zeichnet sich durch seine positiven Merkmale aus: Wolle hat eine isolierende Eigenschaft, die dazu beiträgt, dass die Körperwärme bewahrt wird. Gleichzeitig kann Wolle Feuchtigkeit aufnehmen, ohne dass sie sich feucht anfühlt.
Ein weiterer Pluspunkt ist die Umweltfreundlichkeit. Wolle ist biologisch abbaubar und somit ein erneuerbarer Rohstoff.
Kardieren und spinnen
Danach folgt ein nächster Verarbeitungsschritt: das Kardieren. Die Wolle wird zuerst gekämmt, die Fasern müssen entwirrt und ausgerichtet werden. Wie diese Arbeit genau abgewickelt wird und welche Fertigkeiten es dazu braucht, können Besuchende in der Schaukarderei genau beobachten. Die mächtigen Kardiermaschinen ziehen dabei die Blicke auf sich – ganz besonders die über hundertjährige «Krempel», die als Museumsstück noch täglich im Einsatz steht. Mit dem nächsten Schritt, dem Spinnen, verwandelt sich die Wolle schliesslich zu Garn, danach wird das Material veredelt. Auch hierzu gibt es auf dem Hof den passenden Anschauungsunterricht. Wer selbst gerne Hand anlegt, kann auf der Farm einen einwöchigen Wollverarbeitungskurs besuchen.
Eigenes Duvet anfertigen
Die Nachfrage nach Wolle sei zurzeit gross, meint Amos Grädel: «Es ist ein nachhaltiges Produkt, das im Trend liegt», so seine Einschätzung. Unter den Besuchenden sind denn auch viele naturverbundene Personen, die sich für das traditionelle Handwerk interessieren oder im Laden ein textiles Qualitätsprodukt kaufen möchten, zum Beispiel ein Stück aus der betriebseigenen Bettwarenabteilung. In der Karderei stellt man Duvets, Kissen und Bettauflagen aus eigener oder angelieferter Wolle her. Dazu gibt es die passenden Bettrahmen, die von Schreinereien in der Schweiz, Deutschland und dem Südtirol hergestellt werden.
Kurse für Kreative
Traditionelles Handwerk wie Spinnen, Filzen oder Weben lässt sich lernen. Kreative Menschen, die sich dafür interessieren, können einen Kurs besuchen, zum Beispiel in der Schaukarderei Huttwil. Dabei entdeckt man, was mit Wolle alles gemacht werden kann. Die Veranstaltungen werden in Kleingruppen auf dem Hof durchgeführt. Vorkenntnisse sind keine erforderlich.
Wer möchte, kann eigene Schafwolle mitbringen und sich im Atelier ein Duvet anfertigen lassen. «Dazu benötigen wir 600 Gramm bis 2,5 Kilogramm Wolle – je nachdem, wie warm es sein soll», erklärt Amos Grädel. Der «Weg der Wolle» muss auf «Untere Bäch» aber nicht zwingend im Verkaufsgeschäft enden. Einladend ist auch das hauseigene Bistro, das sich im ehemaligen Kuhstall befindet. Dort kann man – je nach Gusto – ein Huttwiler Glacé lutschen oder einen Schafmilchkäse kaufen.
Wollschweinchen, Hühner und Filzzelte
Ein Ausflug in die Schaukarderei gleicht auch ein wenig einem Zoobesuch. Auf dem Hof leben zahlreiche Tiere. Man lernt nicht nur verschiedene Arten von Schafen und Ziegen kennen, sondern entdeckt auch junge Wollschweine, alte Hühnerrassen und begegnet einem Pfau. Natürlich fehlen auch Hunde und Katzen nicht. Unter den Vierbeinern befinden sich zudem Kamele, die für ein Trekking gebucht werden können.
Wer den Besuch etwas ausdehnen möchte und die Romantik mag, hat die Möglichkeit, auf dem Hof in einer mongolischen Jurte zu übernachten. Auf dem Areal stehen sieben sogenannte Wollfilzzelte, die jeweils Raum für zwei bis acht Personen bieten. Frühstück gibt es im Bistro, eine Buchung ist erforderlich.
Als Höhepunkt der Saison gilt die jährliche Schafschur mit Festwirtschaft, die am 19. Oktober 2024 zum 44. Mal in Huttwil stattfindet.
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